Höllental: Psychothriller
tun. Gleich morgen Vormittag. Für sich selbst, damit er Ruhe fand. Für Laura Waider, damit ihr Gerechtigkeit widerfuhr. Und für Mara, damit sie sich nicht ihr Leben lang fragen müsste, was sie verkehrt gemacht hatte.
Sein Weg führte ihn an der Polizeidienststelle vorbei, und Roman war überrascht, als er Leitenbachers BMW dort stehen sah. Was tat der faule alte Kerl an einem Sonntag im Büro?
Roman fuhr noch ein Stück weiter. Dann wendete er an der Tankstelle und fuhr zurück. Warum bis morgen warten, wenn er es auch heute erledigen konnte.
Als er ausstieg, begann es leicht zu schneien. Er warf einen Blick zu den Gipfeln hinauf. Dunkle, schwere Wolken drängten sich gegen den Hauptkamm. Dort oben würden in der kommenden Nacht sicher ein paar Zentimeter Neuschnee hinzukommen. Das Wochenende stand vor der Tür. Bei der Wetterlage würden die Kurzentschlossenen über den Ort herfallen, um auf dem Gletscher Ski zu fahren. Roman wusste, was das bedeutete: ein arbeitsreiches Wochenende.
Er musste an Mara denken. Bisher war zu viel los gewesen, er hatte es nicht geschafft, sie anzurufen. Er zog sein Handy hervor und wählte ihre Nummer.
»Hey, wie geht es dir?«, fragte er.
»Nicht gut«, antwortete Mara. »Ich wollte mit den Waiders sprechen, aber als ich dort ankam, stand der Leichenwagen vor der Tür. Lauras Vater ist gestorben.«
»Was! Woran?«
»Die Leute sagen, an einem Herzinfarkt, aber ich weiß es nicht genau. Ich habe mich nicht getraut, mit Lauras Mutter zu sprechen.«
Roman konnte hören, wie nahe dran Mara war, in Tränen auszubrechen. Das war verständlich. Die schlechten Nachrichten und Schicksalsschläge rissen ja gar nicht mehr ab.
»Was machst du gerade?«, fragte er.
Mara schniefte. »Ich sitze in meinem Wagen vor dem Studio. Eigentlich habe ich gleich Dienst, aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft dazu habe. Da drinnen muss man gut gelaunt sein.«
»Tu es«, sagte Roman. »Geh rein. Das bringt dich auf andere Gedanken. Und wenn du später mit Torben Sand gesprochen hast, sieht die Welt gleich ganz anders aus. Er wird dir helfen, ganz bestimmt. Leider geht meine Bereitschaft noch bis morgen Mittag. Sonst würde ich mich ins Auto setzen und zu dir kommen.«
»Du bist doch gerade erst weggefahren.«
»Vielleicht hätte ich bei dir bleiben sollen.«
Mara zögerte einen Moment. »Ehrlich gesagt … fände ich das gerade jetzt sehr schön.«
Für einen Moment fehlten Roman die Worte. Er hörte sie am anderen Ende atmen und fragte sich, ob das alles wirklich passierte. »Rufst du mich an, wenn du mit Torben gesprochen hast? Ich würde gern wissen, was er unternehmen will.«
»Ja, mache ich. Versprochen.«
»Ich muss jetzt leider Schluss machen. Geh bitte arbeiten, sonst grübelst du nur, und das führt zu nichts.«
»Okay. Bis später. Und danke, dass du angerufen hast.«
Roman steckte das Handy weg. Hätte er keine Bereitschaft, wäre er sofort zu ihr gefahren. Es war lange her, dass er sich so zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte.
Er seufzte und betrat das Präsidium.
Leitenbacher kam ihm im Flur entgegen. Er trug eine dicke Winterjacke, in der er aussah wie das Michelin-Männchen. An einem breiten Riemen hing über seiner Schulter eine schwarze Ledertasche, aus der der Kopf einer Thermoskanne ragte.
»Was wollen Sie hier?«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Mit Ihnen reden.« Schlagartig bekam Roman schlechte Laune, aber er wusste, er musste sich zusammenreißen.
»An einem Sonntag? Worüber?«
»Über die Selbstmörderin.«
»Na, dann drängt es ja nicht. Ich bin nicht im Dienst. Kommen Sie morgen wieder.«
Roman schluckte den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, hinunter. Das nächste Wort kostete ihn große Mühe. »Bitte … Es ist wirklich wichtig. Möglicherweise war es kein Selbstmord.«
Leitenbacher sah ihn an. »Ein Bitte aus Ihrem Mund … Ich kann es kaum glauben.«
Er hielt inne. Schien abwägen zu müssen zwischen dem, was er gerade vorgehabt hatte, als Roman hereingeplatzt war, und der Aussicht auf ein solches Gespräch. Er überraschte Roman, indem er die Tür wieder aufsperrte.
»Okay, fünf Minuten. Und die auch nur, wenn Sie mir keinen Humbug auftischen.«
Roman folgte Leitenbacher in dessen Büro. Der knipste die Schreibtischlampe wieder an, stellte seine Tasche mit der Thermoskanne auf dem Schreibtisch ab und ließ sich in den Drehstuhl plumpsen.
»Der Herr Bergretter kann also doch Bitte sagen, es geschehen noch Zeichen und Wunder. Setzen
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