Höllental: Psychothriller
sich entschieden hatte, nichts mehr für sie zu kaufen, fand sie leider immer wieder neue Wege, an Alkohol heranzukommen. Da sie in solchen Situationen ständig aneinandergerieten, war Leitenbacher geflüchtet – zum zweiten Mal am heutigen Tag. Das Büro war der einzige Ort, an dem er sich noch wohl fühlte.
Er schaltete die kleine Lampe auf dem Schreibtisch an, stellte die Tasse Instantkaffee ab, die er zuvor in der Küche zubereitet hatte, und ließ sich in den Drehstuhl fallen.
Der karierte Block mit den Notizen lag vor ihm. Er schlug ihn auf und ging alles noch einmal durch. Schon als Roman Jäger ihm die Geschichte erzählt hatte, hatte irgendwas daran sein Interesse geweckt. Es klang tatsächlich so, als sei Laura Waider in den Tod getrieben worden, aber das war es nicht allein. Zwischen den Namen, Daten und Orten versteckte sich eine Kleinigkeit, die entscheidend sein konnte.
Leitenbacher las alles doppelt, kam aber nicht weiter.
Er schaltete den PC ein, lehnte sich zurück und trank Kaffee, während die alte Kiste hochfuhr. Anfangs hatte er sich über das Gerappel der Festplatte aufgeregt, aber mittlerweile empfand er das Geräusch als beruhigend. Es klang fast wie geisterhaftes Geraune.
Warte, warte, gleich zeige ich dir meine Geheimnisse …
Er wartete gern. Zeit bedeutete ihm nichts. Es gab zu viel davon.
Nach ein paar Minuten war der PC so weit. Mit seinem Zwei-Finger-System gab Leitenbacher mühsam die Daten in die Maske ein. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis ihm das Archiv seine Geheimnisse offenbarte.
Und die hatten es in dem Fall wirklich in sich.
Die vier Stunden Dienst im Fitness-Studio waren wie im Flug vergangen. Mara hatte mit zwei neuen Kundinnen den Aufnahmetest absolviert und sie ins erste Training eingewiesen. Danach hatte sie sich auf der Gerätefläche darum gekümmert, dass alle ihre Übungen vernünftig machten.
Roman hatte Recht gehabt: Sie war auf andere Gedanken gekommen. Sie hatte sich unterhalten, gescherzt und gelacht, und als sie gegen acht das Studio verlassen wollte, fühlte sie sich viel besser.
»Und, wie war dein erster Tag als Trainerin?«, fragte Tessa. Sie stand hinter der Bar. Mara wusste genau, dass sie sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Aber das war in Ordnung. Sie war ja die Chefin hier.
»Super. Hat wirklich Spaß gemacht. Ich könnte mich glatt daran gewöhnen.«
»Schön, das freut mich. Morgen Abend wieder?«
»Gern.«
Sie verabschiedeten sich mit einem Küsschen voneinander. Mara nahm ihre Trainingstasche und verließ das Gebäude. Ihr Wagen stand auf dem Parkplatz. Sie überlegte kurz, ob sie um den Block herumfahren sollte, um den Wagen morgen früh vor der Haustür zu haben, entschied sich aber dagegen. Es lag Schnee auf den Scheiben, sie würde bestimmt kratzen müssen, dazu hatte sie keine Lust. Der kurze Weg durch die Grünanlage bis zu ihrer Wohnung dauerte höchstens fünf Minuten.
Mit der Tasche über der Schulter lief sie los.
Die kalte Luft tat gut auf ihren erhitzten Wangen. Weiße Wölkchen fächerten vor ihrem Gesicht auf und verschwanden. Die Temperatur lag knapp unter dem Gefrierpunkt. Mara beeilte sich. Sie war verschwitzt und wollte sich nicht erkälten.
Auf den letzten Metern nestelte sie den Schlüsselbund aus dem Seitenfach der Sporttasche.
Als sie wieder aufsah, nahm sie eine Bewegung wahr. Ein schnelles Huschen, irgendwo links von ihr in den Büschen. Mara hielt kurz inne und sah hinüber. Da war nichts. Plötzlich erinnerte sie sich an den Mann im Wagen und an das Gefühl, beobachtet zu werden. Schnell ging sie weiter, lief die letzten Schritte sogar und wollte den Schlüssel ins Türschloss rammen, als hinter ihr eine dunkle Stimme erklang.
»Mara Landau?«
Sie schrie auf und ließ den Schlüssel fallen.
Vergangenheit
Augsburg
H eute ist der Wind so scharf und kalt, dass er sogar meine Gedanken zerschneidet. Ich bin unruhig und fühle mich zerrissen. Der heiße Wüstenwind hat die gleiche Wirkung auf mich, lässt mich unkonzentriert und fahrig werden, und wenn er noch Sandkörner mit sich trägt, die ich überall spüren kann, die in die Nase, die Ohren und die Augen dringen, dann könnte ich verrückt werden.
Der Wind ist nicht mein Freund.
Aber heute muss ich draußen sein. Schon seit einer Stunde folge ich meinem Mädchen durch die Stadt und beschütze es. Niemand wagt sich an sie heran, solange ich in der Nähe bin. Auch ihre sogenannten Freunde nicht. Ich weiß noch nicht, was ich
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