Höllenzeit
lesen. Aber von einer Wand habe ich nichts erfahren.«
»Das stimmt. Sie ist nirgendwo erwähnt worden, was nicht heißt, daß es sie nicht gibt.« Er schaute in das zerstörte Gesicht des Verletzten. »Ich hoffe auch weiterhin, daß sich Bruder Shiram erinnern wird. Er muß einfach mehr wissen, doch da gibt es meiner Ansicht nach etwas, daß sein Gedächtnis blockiert.«
»Eingeimpft durch die andere Seite?«
»Das könnte man so sehen.«
»Deshalb müssen wir versuchen, die Blockade zu brechen, John«, sagte Father Ignatius. »Es ist wirklich der einzige Weg, um an die konkrete Spur heranzukommen.«
»Du hast es versucht?«
»Ich nicht.«
Der Monsignore hob die Hand. »Ich hatte den Versuch unternommen, aber ohne einen Erfolg. Die Blockade sitzt einfach zu tief. Das Grauen und auch das Wissen stecken in ihm. Schauen Sie sich sein Gesicht an. Die eine Hälfte ist normal, die andere nicht. Für mich ist es das Sinnbild seiner Zerrissenheit. Einerseits möchte er, auf der anderen Seite kann er nicht. Das ist unser Problem.«
»Und die böse Seite weitet sich aus«, erklärte Father Ignatius. »Sie ist dabei, ihn zu übernehmen. Ich habe an seinem Bett gewacht und bin zu der Überzeugung gelangt, daß die Haut immer mehr zusammensinkt, daß sie sich allmählich aufrollt. Sie wird noch schwärzer, sie ist dabei zu veraschen, und ich weiß nicht, wie lange er noch durchhält. Sein Leben ist wie Wasser, das anfängt, tropfenweise durch einen Filter zu rinnen, bis es nicht mehr vorhanden ist.«
»Was können wir tun?«
Ignatius tippte mich an. »Frage nicht, was wir tun können. Jetzt bist du an der Reihe.«
»Wie ich?«
»Du besitzt das Kreuz. Kein Allheilmittel, ich weiß. Aber es könnte doch sein, daß es dein geweihter Talisman schafft, die Blockade des Bösen zu brechen. Die Höllenzeit darf nicht beginnen.«
»Wieder ein neuer Begriff«, sagte ich.
»Nicht von uns allein. Auch Bruder Shiram hat ihn gezeigt. Es ist das Synonym für die Kreaturen der Finsternis. Sie wollen als Endziel die Höllenzeit haben.«
»Das möchten viele Schwarzblüter.«
»Aber nicht mit der gewaltigen Intensität, John.«
»Ja, kann sein, daß du recht hast. Ich möchte noch einmal zusammenfassen. Hier besteht die Überzeugung, daß Shiram mehr weiß.«
»Ja, Mister Sinclair.«
»Und Sie glauben, daß es mein Kreuz schafft?«
Er lächelte. »Es ist die einzige Möglichkeit. Wir haben Sie aus diesem Grunde auch hergebeten. Es steht fest, daß Bruder Shiram gejagt wurde. Er hat einen Ort gesucht, wo er sich verstecken konnte. Bestimmt gibt es sicherere auf dieser Welt, aber ich möchte betonen, daß er unter einem starken Druck stand und nicht die Zeit hatte, es sich aussuchen zu können. Deshalb blieb er hier. Wir haben die Nonnen in Sicherheit gebracht. Es wurde alles von uns geregelt, denn zuvor hatte er sich mit der Weißen Macht in Verbindung gesetzt, und wir taten dann das, was wir tun mußten und evakuierten das Kloster.«
»Das war eine gute Idee.«
»Finden wir auch.«
»Ich habe noch Bedenken.«
»Welche?«
»Es steht wohl nicht fest, wie stark Shiram durch die andere Seite beeinflußt wurde. Es kann durchaus sein, daß sie mehr als die Hälfte von ihm übernommen hat. Dann wäre der Weg, es mit dem Kreuz zu versuchen, natürlich gefährlich. Es könnte ihn möglicherweise zerstören. Er würde vor unseren Augen sterben.«
Beide Männer schwiegen. Meine Bedenken waren nicht aus der Luft gegriffen, das würden sie auch einsehen, und es war Ignatius, der sich meldete und mit leiser Stimme sagte: »Es ist die einzige Chance, wir müssen das Risiko eingehen. Zudem können wir uns auch kaum Zeit lassen, John. Es drängt, du weißt selbst, daß man uns bereits auf der Spur ist. Dieser Moran war der erste. Weißt du, wie viele ihm noch folgen werden. Ich möchte dieses Kloster als einen relativen Schutz bezeichnen. Wenn wir ihn jetzt wegbringen, sind wir in einer anderen Umgebung, die durchaus gefährlich für uns alle werden kann, denn die Kreaturen der Finsternis kennen sich sehr gut aus.«
»Das hat mich überzeugt, Ignatius. Sind Sie auch seiner Meinung, Monsignore?«
»Sicher. Jetzt kommt es auf Sie an.«
Ich schaute nach rechts, wo das Bett stand. Ich wußte nicht, was Bruder Shiram erlebt hatte, es mußte schrecklich genug gewesen sein.
Vielleicht hatte er einen Einblick in den inneren Kreis bekommen. Dann würde er uns helfen können. Ob er allerdings überlebte, war mehr als fraglich.
»Sind Sie
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