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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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konnte. Aber ihre Miene wirkte nicht so völlig leblos dabei, auch ihre Haltung war nicht mehr so apathisch. Die Frage, ob sie sich von Heiko Schramm verzaubert gefühlt habe, blieb jedoch unbeantwortet.
    Edmund versuchte sich dem Thema von einer anderen Seite zu nähern, ließ ein paar Sätze über Männer fallen, die einer Frau unter dem Deckmantel der großen Liebe zu viel abverlangten, kam danach auf liebende Eltern zu sprechen, die Lebenserfahrung hatten, stets in Sorge um das Wohl ihrer Kinder waren und für diese nur das Beste wollten.
    Und plötzlich murmelte sie: «Mein Vater hat mich ausgelacht. Ich soll es mir nicht zu Kopf steigen lassen, sagte er. Ein Stein ist ein Stein.»
    Damit wusste Edmund nichts anzufangen. Er wartete darauf, dass sie weitersprach, ihm zumindest einen Anhaltspunkt lieferte. Aber es kam nichts mehr.
    «Ein Stein ist ein Stein», wiederholte er. «Und Sie meinen, dass es da große Unterschiede gibt?»
    Keine Reaktion. Oder doch, sie senkte den Kopf ein wenig, schaute nicht mehr ihn an, auch nicht die Wand hinter ihm. Stattdessen betrachtete sie den Fußboden, als wolle sie sich das Muster des Teppichs einprägen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht zeugte wieder von geistiger Abwesenheit.
    Er hatte noch knapp zwanzig Minuten mit ihr, um den ersten Ansatz zu erweitern und zu erfassen, was in ihrem Kopf vorging.
    Ein Stein ist ein Stein.
    Was sollte ein Stein denn auch sonst sein? Gut, es gab natürlich unterschiedliche Gesteine: Kiesel, Basalt, Schiefer, Granit, Grauwacke, mehr fielen Edmund auf Anhieb nicht ein. Es war nicht seine Materie.
    Als sie wider Erwarten weitersprach, wurde es noch verworrener. «Man kann heute überallhin», sagte sie, vielmehr erzählte sie es dem Teppich. «Man setzt sich in ein Flugzeug und kann um die ganze Welt fliegen. Sogar zum Mond. Aber dahin nicht. Ich hätte die Wälder so gerne einmal richtig gesehen. Ich hätte nichts angefasst oder zerstört. Menschen machen immer alles kaputt, auch wenn sie das gar nicht wollen. Aber dorthin kann kein Mensch mehr. Es ist alles weg. Nur die Steine sind geblieben.»
    «Macht Sie das traurig?», fragte Edmund und hoffte, dass noch ein paar Teile hinzukämen, damit aus dem Puzzle ein halbwegs erkennbares Bild wurde. Steine, Flugzeuge, Wälder und Menschen, die alles kaputt machten, auch wenn sie das gar nicht wollten. Das hatte kaum etwas mit Drogenhandel und möglicherweise erzwungener Prostitution zu tun.
    Sie nickte kaum merklich. «Aber Heiko sagte, es sind nicht alle weg», murmelte sie. «Es gibt noch richtig große, lebendige. Und eines Tages werden wir dort sein. Das hat er mir versprochen, ehe sie ihn eingesperrt haben. Zwei oder drei Jahre hätte ich durchgestanden. Aber sieben Jahre sind zu lange, das halte ich nicht aus.»
    Sie sprach zu leise für das Aufnahmegerät. Edmund hatte Mühe, sie zu verstehen, und nichts zur Hand, um ausnahmsweise doch Notizen zu machen. Aber es kam auch nichts mehr.
    Sie war an dem Nachmittag die letzte Patientin. Und ehe er sie mit ihrem Vater heimfahren ließ, knöpfte er sich den noch einmal vor. Er musste einfach mehr wissen – hauptsächlich über sie, aber ein paar zusätzliche Informationen über Heiko Schramm schadeten garantiert auch nicht.
    Zu sieben Jahren verknackt. Das war tatsächlich eine recht hohe Strafe, fand auch Edmund. Ein kleiner Dealer konnte Schramm demnach nicht gewesen sein. Und ein großer Dealer hätte keine Affäre mit einer behüteten Tochter aus prüdem Elternhaus begonnen, meinte er. Wobei man ja gar nicht von einer Affäre reden konnte, wenn sie noch unberührt war, wie ihr Vater behauptet hatte. Aber entsprach das den Tatsachen? Oder hatte der Gynäkologe, zu dem Paul Großmann sie geschleppt hatte, die Jungfräulichkeit wieder hergestellt, um sie anschließend zu attestieren? Solche Fälle hatte es auch schon gegeben.
    Edmund war mehr denn je überzeugt, dass ihr etwas abverlangt worden war, was ihre Kräfte bei weitem überstiegen hatte. Erzwungene Prostitution, was sonst? Dass ihr Vater davon wusste und sich die größte Mühe gab, es zu verheimlichen, war zwar verständlich. Aber so funktionierte das nicht.

    Paul Großmann nahm erfreut zur Kenntnis, dass es bereits einen ersten, winzigen Fortschritt zu verzeichnen gab. Er brachte auch ein wenig Licht in das Dunkel um die Steine. Edmund erfuhr immerhin, dass es sich um Edelsteine handelte und dass Patrizia sich in einer Ausbildung zur Goldschmiedin befunden hatte. Dass diese Ausbildung

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