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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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mitgenommen. Aber da hat er den Mund leider nicht mehr aufgemacht, hat sie nur angeschaut. Erst als er abgeführt wurde, sprach er sie an. Und sie stürzte auf ihn zu, klammerte sich an ihn. Man musste sie mit Gewalt von ihm losreißen. Seitdem ist sie so. Wenn er ihr keine Pille gegeben hat, steht sie vielleicht unter Hypnose. Oder der Kerl hat sie verhext, was ich auch nicht völlig von der Hand weisen würde. In den Medien nannten sie ihn einen Rasputin. Haben Sie nichts davon gehört oder gelesen?»
    Nein, hatte Edmund nicht. Sonst hätte er gewusst, weswegen Heiko Schramm im Gefängnis saß. Er vermutete den Grund im erwähnten Drogenhandel und den Nebeneinkünften. Für Zuhälter waren ihre Mädchen häufig der letzte Dreck.
    Ob eine Pille im Gerichtssaal sie in einen Zombie verwandelt hatte, würde er erkennen, meinte Edmund, die Symptome waren ihm bekannt. Dass
Rasputin
sie während der Urteilsverkündung hypnotisiert hätte, hielt er für ausgeschlossen. Und Hexerei war Humbug, allerdings wirksam bei Menschen, die daran glaubten. Ob Patrizia das tat, ließ sich wahrscheinlich in Erfahrung bringen – wenn er sie zum Reden brachte, was er sich durchaus zutraute.
    Trotz des Risikos, das er für sie sah, erklärte Edmund sich bereit, einen Versuch zu wagen. Sechs Stunden! Die obligatorischen Probestunden, die er jedem Patienten gewährte, um festzustellen, ob man miteinander auskam. War das nicht der Fall, war jede weitere Stunde Zeitverschwendung.
    Paul bedankte sich und verabschiedete sich mit den Worten: «Ich bin sicher, dass meine Tochter bei Ihnen in den besten Händen ist, Herr Doktor Bracht.»

    Zur ersten Stunde brachte Paul sie in die Praxis. Alleine hätte man sie nicht losschicken können. Von ihrem Vater wie ein Kleinkind dazu aufgefordert, reichte sie Edmund die Hand zur Begrüßung. Ihre Finger waren tatsächlich so dünn, dass er beim Händedruck befürchtete, sie zu zerbrechen.
    Paul wäre gerne dabeigeblieben, um zu sehen – vielmehr zu hören –, wie Edmund die Sache anging und was dabei herauskam. Er schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um. Aber es gab nur die beiden bequemen Sessel im Behandlungszimmer.
    Zwar hätte Paul auch mit einem Stehplatz in der Ecke vorliebgenommen … «Ich bin still wie ein Mäuschen, Herr Doktor. Sie werden gar nicht merken, dass ich da bin.» Doch das war nicht in Edmunds Sinn. Deshalb verhandelte er die ersten fünf Minuten mit Paul, ehe der endlich einsah, dass seine Tochter in dieser Praxis nur therapiert wurde, wenn er das Feld räumte, sich entweder ins Wartezimmer zurückzog oder einen Spaziergang machte. Für eine Heimfahrt war die Zeit zu knapp. Paul entschied sich für das Wartezimmer, um in der Nähe zu sein, falls er gebraucht wurde.
    Die restlichen fünfundvierzig Minuten saß Edmund ihr gegenüber, wobei sie nicht saß. Sie hockte vorne auf der Kante des Sessels. Die Knie eng zusammen, die Hände ineinander verschränkt im Schoß, schaute sie ihn unverwandt an. Aber ihr Blick ging durch ihn hindurch, wahrscheinlich auch noch durch die Wand hinter ihm.
    Edmund fühlte sich, als säße er einer Toten gegenüber. Minutenlang beobachtete er sie, registrierte jeden Lidschlag, mehr als dieses unwillkürliche Blinzeln kam von ihr nicht. Dann sprach er sie an, redete eine geschlagene Viertelstunde in gleichbleibend ruhigem und freundlichem Ton auf sie ein, ohne die geringste Wirkung zu erzielen.
    Später erinnerte er sich nicht mehr genau, worüber er gesprochen hatte. Über Sinn und Ziel einer Therapie wahrscheinlich. Darüber sprach er immer in der ersten Probestunde, erläuterte, wie Patientin und Therapeut das Ziel in gemeinsamer Arbeit erreichen konnten. Anschließend vermutlich noch ein paar Sätze über Liebe, Enttäuschung und Schmerz, vage gehalten, weil er noch nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wie sie in diesen Zustand geraten war. Das Tonbandgerät lief zwar, aber er hörte es nicht ab, weil außer seinem Vortrag nichts aufgezeichnet worden war. Kein Zugang zur Patientin, notierte er nach dieser ersten Sitzung.
    In der zweiten Stunde schnitt Edmund das Thema Hexerei und Zauberkünste an, wie er sich vorgenommen hatte. Er verpackte es in romantische Floskeln von Männern, die sich von einem jungen Mädchen wie verhext oder verzaubert fühlten, und dass so etwas natürlich auch umgekehrt funktionierte. Es sah so aus, als reagiere sie darauf. Ihr Blick verlor sich zwar wieder in irgendwelchen Gefilden, die außer ihr niemand einsehen

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