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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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dessen unheilvolle Wutausbrüche bei jedem Besuch oder Telefongespräch aufs Neue heraus.
    Patrizia dagegen fand auch lobende Worte, zum Beispiel als Paul ihr den heißersehnten Ausbildungsplatz bei Albert Retling, einem Goldschmied in Köln-Raderthal, beschaffte, ohne dass sie großartig Bewerbungen schreiben und Begründungen für ihren Berufswunsch liefern musste.
    «So übel wie Dorothea meint, ist Papa wirklich nicht»
, hatte sie geschrieben.
    Die nächsten Eintragungen bezogen sich auf die Berufsschule. Auch dort kam sie mit allen gut aus. Obwohl sie sich von ihrem Wesen her stark von ihren Mitschülerinnen und -schülern unterschied, wurde sie weder gemobbt noch gehänselt. Alle mochten sie.
    Zu Albert Retling und dessen Frau Alwine entwickelte sie ein Verhältnis, das man ihren Ausführungen zufolge nur als herzlich bezeichnen konnte. Das Paar war Anfang sechzig und kinderlos. Sie verliebten sich offenbar beide auf der Stelle in dieses enthusiastische und gleichzeitig so verträumte junge Mädchen.
    Die Passage, in der sie die Entstehung eines Smaragds beschrieb, machte Edmund in Sachen Steine ein bisschen klüger. Sie bezeichnete die Kostbarkeit, für die Albert Retling um die Achtzigtausend hatte hinblättern müssen, als Teil eines versunkenen Urwalds aus prähistorischer Zeit, durch den Druck von Abermillionen zusammengepresst.
    Und dahinter stand:
Papa hat mich ausgelacht, als ich sagte, dass ich gerne einen hätte. Nur einen ganz kleinen. Es muss nicht so ein wahnsinnig teurer sein, es gibt auch schon welche für wenig Geld. Ich würde ihn auf die Fensterbank legen und denken, dass es mein Baum ist. Und dass der schwarze Mann in seinen Zweigen sitzt und die ganze Nacht aufpasst, damit ich keine bösen Träume habe.
    Pauls Phantasie reichte wohl nicht weit genug, um die Gedanken und Sehnsüchte seiner Tochter auch nur annähernd nachvollziehen zu können.
Ein Stein ist ein Stein.
    Den Kommentar ihres Vaters hatte sie wortwörtlich wiedergegeben:
«Komm mir bloß nicht auf dumme Gedanken, Mädchen. Das Zeug ist für dich Arbeitsmaterial und sonst nichts, merk dir das. Wenn du später genug verdienst, kannst du dir ja einen kaufen und auf die Fensterbank legen. Aber bis dahin behältst du deine Finger hübsch bei dir. Dass mir keine Klagen zu Ohren kommen.»
    Das zweite Tagebuch begann mit harmlosen Schwärmereien für einen Mitschüler an der Berufsschule, eine Boy-Band und zwei Schauspieler. Inzwischen überwog die Sehnsucht nach Zärtlichkeit in ihren Zeilen. Sie war siebzehn und träumte vom ersten Freund, die meisten gleichaltrigen Mädchen hatten bereits den zweiten oder dritten.
    Sie wartete noch auf den ersten Kuss und stellte Vergleiche zwischen den Schilderungen von Mitschülerinnen und den eigenen Wünschen an. Und für sie stand fest, dass bei ihr alles ganz anders sein musste. Viel intensiver, viel romantischer. Eine vollkommene Harmonie zwischen zwei Menschen, die totale Übereinstimmung von Körper und Geist.
    Es war das Tagebuch, in dem sie das Zusammentreffen mit Schramm in die WG ihrer Schwester verlegt hatte. Kein Wort von einer Disco, der belauschten Verhandlung zwischen Dealer und Kunden, einer Strawberry Margarita und ein paar Tänzen, bei denen Rasputin sie hatte spüren lassen, was er in der Hose hatte.
    Wie vor ihm Paul ging auch Edmund davon aus, Schramm habe zum Bekanntenkreis ihrer Schwester gehört. Vielleicht der Kokslieferant, obwohl das bei vier jungen Müttern, die nur auf eine Bowlingbahn gingen, eher unwahrscheinlich war. Also vermutlich der ehemalige Freund einer der drei anderen Frauen, der zufällig vorbeischaute, nur die Babysitterin antraf und der mal schnell den Kopf verdrehte. Dass es in ihrem Zimmer keinen sicheren Platz für Tagebücher gegeben hatte, erfuhr Edmund erst später.

    Vor Jahren, als Ed ihr die Zusammenhänge erklärt hatte, ihre Gefühle, Heikos Gefühle, dessen Charakter und wahre Absichten, hatte es einleuchtend und nur halb so schlimm geklungen. Soweit es sie betraf, hatte Ed ein Dutzend Entschuldigungen bei der Hand gehabt. Die prüde Erziehung, bei der die Dinge nicht einmal ausgesprochen, geschweige denn getan werden durften. Die Liebe zu ihrem Vater, den sie gleichermaßen fürchtete wie verehrte und nicht enttäuschen wollte. Dass sie bei allem Aufbegehren keinesfalls in Dorotheas Fußstapfen habe treten wollen.
    Von dem inneren Widerstreit hatte Ed gesprochen, dem wachsenden Verlangen nach Zärtlichkeit und körperlicher Nähe und der

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