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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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seinem Geist über die Straße zu ihr hinaufschicken konnte. Und seinen Mund und sich selbst.
    Das war doch kein mangelndes Interesse, es war die einzige Möglichkeit gewesen. Weil ihnen das gleiche Schicksal bestimmt war wie den beiden Königskindern, von denen es hieß:
«Und konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.»

    Ihr Cognac-Angebot quittierte er mit einem gnädigen Nicken. Vermutlich wäre ihm ein Bier lieber gewesen, aber Bier hatten sie nicht im Haus. Eddi trank abends gerne ein Glas Wein, zu besonderen Anlässen hin und wieder auch mal einen Cognac, den er allerdings nicht trank, sondern zelebrierte, was sich durchaus über eine halbe Stunde oder noch länger hinziehen konnte.
    Nachdem es ihr endlich gelang, sich der offenen Tür zuzuwenden, folgte Heiko ihr ins Wohnzimmer, wo der Staubsauger bereitstand. Unmittelbar bevor es geklingelt hatte, hatte sie den Teppich saugen wollen. Hätte sie damit schon begonnen, hätte sie den Gong in der Diele vermutlich nicht gehört. Aber dass er dann wieder gegangen wäre, war kaum anzunehmen.
    Er setzte sich in einen Sessel beim Couchtisch und schaute zu, wie sie einen Cognacschwenker füllte – fingerbreit, wie Eddi es für sich auch tat.
    «He, nich’ so sparsam mit dem guten Zeug», sagte er.
    Ihr fiel auf, wie nachlässig und verwaschen seine Sprache klang, er verschluckte einen Großteil der Endsilben. Vielleicht hatte er sich diese Sprechweise im Gefängnis angeeignet. Früher war ihr das jedenfalls nie aufgefallen, da war alles an ihm perfekt gewesen. Sie setzte sich in den zweiten Sessel. Damit war der Couchtisch zwischen ihnen.
    «Nett hast du’s», sagte er mit Blick auf den Kamin. «Ist im Winter sicher richtig gemütlich.»
    Dann kippte er den Cognac hinunter wie einen Schluck Wasser, beugte sich zum Tisch vor, stellte das Glas ab und betrachtete das Blumengesteck in der Tischmitte, das sie am vergangenen Nachmittag erst arrangiert hatte. Er zog die Schale zu sich heran und begann, die Blütenblätter von einer Margerite zu rupfen. «Sind wohl von deinem Mann, was?», fragte er dabei. «Bringt er dir oft Blumen mit?»
    «Die sind aus dem Garten», sagte sie und zählte automatisch in Gedanken mit:
Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt …
    Er zuckte mit den Achseln, als sei ihm egal, woher oder von wem die Blumen kamen. Und sie fragte hastig: «Magst du noch einen Cognac? Oder vielleicht lieber einen Kaffee? Wir haben nie zusammen Kaffee getrunken.»
    Sie hatten vieles nie zusammen gemacht, aber alles irgendwann tun wollen. Und alles hatte er ihr in Worten geschildert, die atemlos und weich machten. Fürs Kaffeetrinken hatte er keine speziellen Szenarien entworfen, dafür war es wohl zu harmlos und alltäglich. Trotzdem klang ihre Feststellung jetzt sehnsüchtig. Sie hörte es selbst deutlich.
    Er hörte es ebenfalls und grinste wieder. «In der Reihenfolge», sagte er.
    Auch den zweiten Cognac kippte er hinunter wie einen Rest Bier, damit der Wirt ein neues Glas hinstellte. Gleich anschließend erhob er sich. Sie hatte sich gerade erst wieder hingesetzt, stand ebenfalls auf und zitterte beim Gedanken, er könne nach ihr greifen und sie in seine Arme ziehen, weil sie doch an ihm vorbeimusste, um zurück in die Diele und weiter in die Küche zu gehen.
    Aber er machte keine Anstalten, ihr zu nahe zu kommen, folgte ihr nur, setzte sich unaufgefordert an den Küchentisch und schaute zu, wie sie hantierte: Kaffee aufbrühte, Geschirr aus einem Schrank nahm. Als sie ihm eine Tasse mit Unterteller hinstellte, zündete er sich eine Zigarette an, ohne zu fragen, ob es ihr recht war. In diesem Haus rauchte niemand, nicht einmal Dorothea wagte das, wenn sie auf einen kurzen Besuch hereinschaute, um sie zu einem Stadtbummel zu überreden.
    Sie nahm einen Blumenuntersetzer von der Fensterbank und stellte ihm den hin, weil sie keinen Aschenbecher besaß. Darüber grinste er noch, doch das verging ihm dann.
    Nachdem sie die Tassen gefüllt und ihm gegenüber Platz genommen hatte, zog er das alte Zeitungsfoto aus seiner Hemdtasche, das irgendwer nach der Urteilsverkündung geschossen und teuer an die Sensationspresse verkauft hatte. Diesen Augenblick tiefster Verzweiflung, als sie sich an ihn geklammert hatte.
    Mit einem vernehmlichen Atemzug faltete er das Papier auseinander und schob es ihr hin. «Weißt du noch?», fragte er mit wehmütigem Unterton. «Jeden Tag hab ich mir das angesehen. Und immer hab

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