Hoerig
das gleiche Gesicht wie am Eingang, auch seine Hände waren genauso wie vorher, sie trugen keine Spuren seines Schwanzes. Seine Augen waren von dem, was sie gesehen hatten, nicht größer geworden, und auch die übliche Mischung aus Befriedigung und Scham war nicht in seinen Zügen zu lesen. Zum Inhalt seiner Besuche ließ er nichts verlauten, er hat mir nie verraten, wie die di-stanzierte Gegenwart von Frauen im roten Bühnenlicht auf ihn wirkte. Auch seine Motive blieben im Dunkeln, ich weiß aber, daß er seine Gründe hatte, mich ins Cinema L’Amour zu begleiten und es immer mit mir gemeinsam zu verlassen. Er ging immer vor, wenn wir den Saal betraten, er wollte mich beschützen, er wollte sich ver-gewissern, daß ich nicht vergewaltigt würde, wahrscheinlich liebte er mich, wie man Vögel liebt, die aus dem Nest gefallen sind. Er warnte mich, ich solle da drinnen nichts trinken, es gebe Drogen, die man für Vergewalti-gungen verwende, Drogen wie viele andere, sagte Freddy, die einen Fremden als Retter erscheinen lassen, Freddy wollte den anderen, wenn sie sich übel wollten, nur Gutes.
Vor ein paar Monaten hatte Freddy mir im Laïka die Hand geküßt, obwohl ich ihm den Mund geboten hatte, und mir so zu verstehen gegeben, wie verloren ich war.
Er schob es auf den Alkohol, um mir die Scham zu nehmen, und dann hat er etwas gesagt, was man zu einer dreißigjährigen Frau nie sagen sollte, um ihr nicht den Mut zu rauben, jemals wieder einen Mann zu verführen, er hat gesagt, er fühle sich geschmeichelt. Ich hatte ihm viel von Nadine erzählt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß er sie nicht kannte, jeder mußte La Nadine kennen, das war die niederschmetternde Wahrscheinlichkeit. Ich kramte alle alten Geschichten über sie noch einmal hervor, damit er sich ein Bild von ihr machte. Ich erzählte ihm alles über sie, er sollte wissen, daß kein Mann ihr widerstehen konnte, selbst wenn er sie nie gesehen, sondern bloß von ihr gehört hatte, man muß nur von ihr hören, um auf sie zu fliegen, sagte ich zu meinem alten Freund Freddy. Ich schrieb Nadine sogar Wunder-dinge zu, um das Ausmaß ihrer Macht glaubhaft zu schildern, doch Freddy ließ das alles kalt.
Wie um die Allgegenwart zu unterstreichen, die ich ihr in Männerhirnen zuschrieb, kam Nadine an diesem Abend ins Laïka, so konnte ich sie ihm zeigen. Zu meiner größten Verwunderung fand Freddy sie gewöhnlich, eine Statur wie eine osteuropäische Schwimmerin und ein furchteinflößendes Lächeln, wie die Ankündigung einer Katastrophe, sagte Freddy, das entblößte Zahnfleisch erinnere ihn daran, wie er als Kind einmal vom Pferd gefallen sei. Tatsächlich war Freddy damals knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigeschlittert und mußte monatelang im Rollstuhl sitzen. Außerdem wölbten sich ihre Beine unter der schwarzen Hose so verdächtig, als hätte sie keine Knie, und ihre unermüdliche und etwas zu laute Selbstsicherheit solle womöglich nur verbergen, daß sie O-Beine habe.
Freddy mochte keine Dominas. Virilität bei Frauen stieß ihn ab, er wurde nur geil, wenn er Schwachen gegenüber den Beschützer herauskehren konnte. Wie kann ein Mann diese Frau dir vorziehen? wunderte er sich den ganzen Abend. Das hätte mich beruhigen können, wäre Nadine nicht von drei Männern umringt gewesen, die einander nicht zu Wort kommen ließen und sich am Ende gegenseitig niederbrüllten. Nadine lachte zuviel an diesem Abend im Laïka, und ich dachte, das geht gegen mich, ich dachte, sie wirft absichtlich den Kopf in den Nacken und lacht so über die Köpfe hinweg wie damals im Bily Kun, als ob sie ihr Leben damit verbräch-te, zu lachen und dabei die Zähne zu zeigen, wie andere pissen, um den Gegner einzuschüchtern, hinwegzulachen über die Köpfe aller umstehenden Frauen, die sie sicher schon aus den Geschichten ihrer Freunde kannten, ach, wie viele Geschichten habe ich über sie gehört, wie sie im Bett ist, wie sie die Schwänze bis zur Wurzel in den Mund nimmt, wie sie es schafft, den Rachen aufzureißen und den Brechreiz zu überwinden, wie sie unter dem Ansturm der Zärtlichkeiten schreit, schreit wie sie lacht, wie sie alles tut in ihrer Überzeugung, alle anderen zu übertreffen. Als Nadine im Laïka so gelacht hat, mußte ich daran denken, daß ich niemals lache und daß du dich oft darüber beschwert hast.
Es waren Ereignisse im Zusammenhang mit Nadine, die zu meinem Untergang beigetragen haben. Das erste war das im Parc Lafontaine. Dreimal,
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