Hoffnung am Horizont (German Edition)
Hörst du?“
Der Blick in den Augen ihres Vaters jagte Annabelle Angst ein. „Ja, Papa!“ Sie nickte, und heiße Tränen liefen ihr über die Wangen.
Er wollte weggehen, aber dann drehte er sich noch einmal um und berührte ihre Nasenspitze, wie er es immer machte. „Ich liebe dich, Annie-Mädchen.“
Ihr Kinn zitterte. „Ich hab dich auch lieb, Papa.“
Erst als Annabelle ihr eigenes Schluchzen hörte, wurde ihr bewusst, dass sie weinte. Sie schloss die Augen und hoffte, sie könnte ihr Gedächtnis zwingen, sich zu erinnern, aber sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte die Gesichter ihrer Eltern nicht mehr heraufbeschwören. Und auch nicht das der süßen kleinen Alice. In diesem Moment fühlte sie eine Berührung an ihrem Arm, und ihre angestauten Gefühle brachen sich Bahn.
Sie schlug die Augen auf und sah, dass Matthew ihr bedeutete, aus dem Wagen zu steigen. Sie atmete heftig und versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
Er ergriff ihren Arm, als sie abstieg, und wischte ihr dann die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Bist du verletzt?“
Sie konnte nur den Kopf schütteln, da die Kindheitserinnerungen, die sie tief in sich vergraben geglaubt hatte, hochkamen und ihr die Kehle zuschnürten.
Er legte beide Hände auf ihre Wangen. „Annabelle, ist mit dir alles in Ordnung?“
„Wo warst du?!“, schrie sie und hatte das Bild von ihrem Vater, wie er in der Nacht verschwand, immer noch vor Augen. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie ihn gesehen hatte.
Matthew starrte sie an. „Ich musste nach den Pferden schauen und den Wagen überprüfen.“ Sein Tonfall verriet deutlich, dass sie sich das doch eigentlich denken konnte.
Annabelle nickte und versuchte, ihr Gesicht abzuwenden, aber er drehte es wieder zu sich zurück. „Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?“ Er schaute kurz zu ihrem Bauch hinab und dann wieder in ihr Gesicht.
Er erkannte also endlich an, dass sie schwanger war, oder zog wenigstens die Möglichkeit in Betracht, dass es so sein könnte. „Mir geht es gut“, sagte sie und war gleichzeitig dankbar und vollkommen erschöpft. Bevor sie sich von ihm losmachen konnte, beugte er den Kopf zu ihr.
Annabelle ahnte, was jetzt kommen würde, und geriet in Panik. Als seine Lippen ihre Stirn berührten, erstarrte sie.
Er küsste sie einmal, zweimal.
Wärme zog durch ihren Brustkorb und in ihre Arme und Beine, und sie tat das, was sie neulich schon gern getan hätte, es aber dann unterlassen hatte. Sie schob die Arme auf seinen Rücken und legte den Kopf an seine Brust. Er umarmte sie und zog sie nahe an sich heran. In ihrem ganzen Leben hatte sich Annabelle noch nie so sicher gefühlt.
* * *
Matthew warf einen Blick auf sie, während er immer noch damit beschäftigt war, mit dem Feuerstein und Stahl ein Feuer in Gang zu setzen. Das war keine einfache Aufgabe, da das ganze Brennholz genauso durchnässt war wie Annabelle und er. Heute Nachmittag hatte es einen Moment gegeben, in dem er befürchtet hatte, das angeschwollene Flusswasser würde den Wagen mitreißen. Und auch sie beide. Er hatte die nackte Angst in Annabelles Augen gesehen. Das hatte ihn weiter angetrieben.
Die Temperaturen waren gefallen, als das Gewitter losbrach, und dann noch weiter, als die Sonne hinter den Bergen unterging. Seine Finger waren steif und kalt und er rieb die Hände zusammen, um sie beweglicher zu machen. Er schob den feuchten Zunder zu der Größe eines Hühnereis zusammen, rieb ihn zwischen den Fingern und blies ihn an, bis die Feuchtigkeit weniger wurde. Er balancierte den Zunder in seiner linken Hand und machte sich wieder mit dem Feuerstein und Stahl zu schaffen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen musste er an ihre erste gemeinsame Nacht in der Prärie denken. Die Erinnerung daran, wie lange Annabelle gebraucht hatte, um ihr Feuer anzuzünden, brachte ihn zum Lächeln. Immerhin hatte Annabelle nicht aufgegeben.
Ein Funke flog.
Er ließ den Feuerstein und Stahl fallen, um den Zunder mit der schwachen Flamme in die Hände zu nehmen und dem Feuer vorsichtig Leben einzuhauchen. Es knisterte und glühte in seinen Handflächen. Er legte den Zunder schnell an das angehäufte Holz, kniete davor nieder und blies wieder hinein, bis die Flamme es erfasste.
Er fühlte, wie die Wärme durch sein feuchtes Hemd drang, während er seinen rechten Arm rieb. Er merkte erst jetzt, wie weh er tat.
„Du blutest ja!“ Annabelle kam näher und kniete sich neben ihm auf die
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