Hoffnung am Horizont (German Edition)
Blick auf das Ufer vor sich und blinzelte, um deutlicher sehen zu können. Die Uferböschung tauchte im strömenden Regen vor ihr auf und verschwand wieder. In dem schwächer werdenden Licht sah sie imposanter aus als noch vor zwei Stunden.
Sie hörte ihren Namen. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Matthew neben ihr auf den Wagen kletterte.
Er beugte sich nahe zu ihr herüber. „Das Ufer ist glitschig, aber uns bleibt keine andere Wahl. Wenn wir jetzt nicht hinaufkommen …“ Er nahm die Zügel, ohne seinen Satz zu beenden.
Sie drehte sich um und schaute hinter sich. Ihre Kinnlade fiel nach unten. Das Wasser war an den Seiten des vorher staubtrockenen Flussbetts bereits hoch angestiegen.
„Festhalten!“, brüllte er.
Sie hielt sich fest.
Die Zügel knallten scharf auf die Flanken der Pferde. Die Tiere machten einen Satz nach vorne und zogen den Wagen mit. Sie kamen nicht weiter und rutschten zurück. Das Wasser erreichte schon fast den Rand des Wagenbetts. Annabelle dachte an das Weizenmehl, an das Maismehl … und begriff schnell, wie albern diese Sorge in diesem Moment war.
Matthew schlug kräftig mit den Zügeln. Schließlich erreichten die ersten beiden Pferde den oberen Rand des Ufers. Aber die anderen beiden kämpften und konnten mit ihren Hufen keinen festen Halt finden.
Matthew stand auf und schob ihr die Zügel hin.
Sie nahm sie, packte ihn aber am Arm. „Wohin gehst du?“
„Sie schaffen es nicht. Oder die Deichsel ist herausgerutscht.“ Ohne eine weitere Erklärung sprang er vom Kutschbock und landete auf der matschigen Böschung. Er wollte das Geschirr des nächsten Pferdes packen, rutschte aber im Schlamm aus. Annabelle stockte der Atem, als ein Pferdehuf gefährlich nahe neben seinem Arm landete. Sie wartete, dann atmete sie wieder, als er die Hand hob und das Geschirr ergriff. Das Tier suchte auf der schlammigen Böschung nach Halt, aber irgendwie gelang es Matthew doch, auf das Pferd zu steigen.
In diesem Moment begriff sie, was er vorhatte. Dieser dumme, wagemutige Mann …
Er bohrte dem Pferd die Absätze seiner Stiefel in die Seiten. Es versuchte hochzusteigen, stellte aber fest, dass es angeschirrt war. Diese Machtdemonstration wirkte jedoch anscheinend ansteckend und die anderen Pferde reagierten. Die ersten zwei Schimmel preschten über die Kante, verließen die Böschung und trieben das zweite Paar hinter sich an.
Der Wagen wackelte und kippte, als er nach oben gezogen wurde. Für einen Moment konnte Annabelle nichts anderes sehen als den wütenden grauen Himmel. Ein heller Blitz zuckte. Sie erwartete halb, dass das Geschirr brach und der Wagen unter ihr ins Wasser zurücktauchte. Das harte Brett der Rückenlehne bohrte sich in ihren Rücken, als sie die Füße gegen das Fußbrett stemmte und sich festhielt. Ihre Beine schmerzten vor Müdigkeit. Als sie gerade dachte, dass sie nicht länger durchhalten könnte, kehrte der Himmel wieder an seinen rechtmäßigen Platz zurück und auf beiden Seiten neben ihr breitete sich wieder Land aus.
Der Wagen bewegte sich weiter. Sie hielt sich fest, bis er zum Stehen kam. Dann legte sie die Bremse ein und rief nach Matthew.
Er kam nicht. Sie rief wieder.
Ihre Stimme wurde vom Wind verschluckt.
Plötzlich fühlte sie sich, als sei sie wieder zwölf Jahre alt. Allein, verängstigt und auf der Suche nach den Gesichtern ihrer Eltern in einem Meer aus Chaos. Männer und Frauen schrien. Menschen rannten nur in ihren Nachthemden bekleidet durch das Lager. Sie konnte das leise Grollen hören, das sie vor so langer Zeit in der Dunkelheit geweckt hatte. Wie ein Gewitter, nur dass es in jener Nacht tief unter ihr aus der Erde gekommen war und nicht vom Himmel. Die Erde erbebte und das Knurren wurde immer lauter, so als wäre die Prärie in Kansas wütend, weil sie aus dem Tiefschlaf geweckt wurde. Die Erde gab unter ihren dünnen Beinen nach. Sie kroch an den Rand, um unter dem Wagen herauszuschauen.
„Bleib unter dem Wagen, Annie!“ Die Stimme ihres Vaters war hart, aber sein Gesichtsausdruck war liebevoll.
Annabelle rutschte gehorsam hinter ein Rad und schaute durch die Speichen zu ihm hinauf. „Wo ist Mama?“
„Sie ist Alice suchen gegangen.“
Annabelle sah hinter sich und stellte fest, dass das Bett ihrer kleinen Schwester leer war. Ihr Magen zog sich zusammen. Es war ihre Aufgabe, auf Alice aufzupassen.
Das Dröhnen wurde ohrenbetäubend. Alles war voller Staub.
„Egal, was passiert, Annie, du bleibst unter diesem Wagen.
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