Hoffnung am Horizont (German Edition)
wie sehr Sie Ihren Bruder verletzt haben. Und wie enttäuscht er war.“
Sie zitterte am ganzen Körper und wusste nicht, woher diese Worte gekommen waren. Es war nicht ihre Absicht gewesen, das zu sagen, besonders nicht den letzten Teil, aber die Erinnerung an Jonathans verletztes Gesicht, nachdem Matthew im vergangenen Herbst wortlos gegangen war, hatte sie zu diesen Worten getrieben. Die Schuldgefühle in Matthews Gesicht verrieten ihr, dass sie unbeabsichtigt einen wunden Punkt berührt hatte. Bei ihnen beiden.
Er wandte als Erster den Blick ab.
Sekunden vergingen. Keiner von ihnen sprach ein Wort.
Noch vor wenigen Minuten war sie so sicher gewesen, dass es richtig war, Matthew als Scout einzustellen. Sie hätte geschworen, dass sie eine Art Bestätigung von Gott in ihrem Herzen gefühlt hatte. Aber jetzt …
Annabelle war dankbar für die gedämpften Geräusche, die das unbehagliche Schweigen zwischen ihnen ausfüllten, das Wiehern der Pferde auf der Weide, das Geschrei des sechsjährigen Bobby und seiner Schwester Lilly, die hinter dem Haus spielten, und das entfernte Poltern einer Kutsche auf der Hauptstraße.
Matthew nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Resignation war ihm ins Gesicht geschrieben. „Seien wir ehrlich zueinander, Miss Grayson. Wenigstens in einem Punkt.“ Seine tiefe Stimme wurde leiser. „Wir wissen beide, dass Sie meinen Bruder geheiratet haben, um etwas zu bekommen, das Sie ohne ihn nicht hätten bekommen können. Sagen Sie mir, dass das nicht stimmt.“
Obwohl sie wusste, dass er nicht vollkommen recht hatte, wünschte Annabelle, sie könnte seine Worte leugnen. „Das, was Sie sagen, Mr Taylor, ist zum Teil wahr. Ohne die Hilfe Ihres Bruders hätte ich mein altes Leben nie verlassen können. Aber ich hatte Jonathan wirklich gern. Sehr sogar. Er war der freundlichste Mensch, der mir je begegnet ist.“
Matthew schloss eine Sekunde die Augen, dann nickte er. „Danke, dass Sie ehrlich sind, Miss Grayson. Wenigstens in diesem Punkt.“ Er sah nachdenklich an ihr vorbei. „Johnny war immer zu vertrauensselig. Er gab Menschen eine Chance, auch wenn sie es nicht verdienten. Und Sie hat er, aus welchem Grund auch immer, nicht durchschaut. Ich schätze, er war zu sehr fasziniert von … dem, was Sie tun. Aber bedenken Sie, dass ich weiß, wer und was Sie sind. Und auf mich haben Sie nicht die geringste Anziehungskraft.“
Sein Blick wanderte langsam an ihr hinab und dann wieder hinauf, und genau wie er gesagt hatte, entdeckte sie in seinem Blick nichts, das auch nur im Entferntesten als Interesse gedeutet werden könnte. Stattdessen sah Annabelle mit schmerzlicher Klarheit ihr eigenes vernarbtes Gesicht in dem kaputten Handspiegel vor sich. Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass ihre Atmung vor Aufregung schneller geworden war, und sie zwang sich, sich zu beruhigen und das ungebetene Bild zu verdrängen.
Matthew öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber offenbar anders. Er schüttelte den Kopf und rang sichtlich damit, was er als Nächstes sagen wollte.
Aber Annabelle wusste, dass es kommen würde. Er würde ihr sagen, dass sie es nicht wert war, dieselbe Luft zu atmen wie er, geschweige denn, auf dieser Erde überhaupt irgendetwas zu beanspruchen. Dass Menschen wie sie Müll waren und auch als solcher behandelt werden sollten. Das hatte sie alles schon gehört.
Matthew blickte auf seine Stiefel hinab und seufzte. Eine tiefe Müdigkeit schien ihn zu ergreifen. „Miss Grayson, ich habe eine ganze Liste mit Dingen im Kopf, die ich Ihnen schon seit Monaten sagen will, seit ich herausgefunden habe, dass Johnny Sie geheiratet hat. Und seit ich weiß, dass mein Bruder gestorben ist, wurde diese Liste nur noch länger.“ Annabelles Stirn legte sich in Falten. „Aber jetzt, da ich hier stehe und Ihnen ins Gesicht schaue und Gelegenheit hätte, das alles zu sagen …“ Ein langsames Seufzen kam über seine Lippen. Er zuckte leicht mit den Achseln. „Kann ich es nicht.“
„Im Gegenteil, Mr Taylor, Sie beherrschen das ganz gut. Warum wollen Sie jetzt aufhören?“ Die Worte waren leiser, als Annabelle es beabsichtigt hatte. Doch sie wollte ihn herausfordern, seinem Herzen Luft zu machen, da er diese Dinge ohnehin früher oder später sagen würde, wenn sie ihn einstellte. Lieber brachte sie es jetzt gleich hinter sich. Wenn sie ein bisschen nachhelfen musste, dann würde sie das tun. Sie wusste, wie sie dabei vorgehen
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