Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
rüber. »Ihre Unterwäsche können Sie behalten.«
»Glauben Sie tatsächlich, dass ich in meiner Wohnung mit irgendwelchen Sachen im Arsch rumlaufe?«
Er antwortet nicht, sondern stellt sich nur in Habtachtstellung zur Tür, während der ältere, schwarze Typ zurückkommt. Es ist bloß ein weiteres Erniedrigungsritual, mit dem man mir zeigt, wie viel Macht sie haben, wie klein und unbedeutend ich dagegen bin. Während ich in den orangefarbenen Anzug schlüpfe, wechseln sie ein paar Worte, die ich nicht verstehen kann. Einer der beiden kichert. Wahrscheinlich geht’s um die beiden Polizei-Inspektoren. Als ob es mich gar nicht gäbe …
Kapitel zwei
A lles wird sich noch klären, ich weiß. Ich vertraue dem »System«. Morgen bekomme ich einen Anwalt, der diesen Bullen klarmachen wird, was für lächerliche Schlussfolgerungen sie aus so wenig Beweismaterial gezogen haben. Mein Anwalt wird in meinem Namen auf den Tisch hauen und mit juristischen Phrasen so um sich werfen, dass diese Polizisten in Scham versinken werden. Kleinlaut werden sie mir vor dem Richter die Handschellen abnehmen und mich nach Hause schicken. Der Richter wird sich vielleicht sogar entschuldigen, und ich werde die Entschuldigung annehmen, weil ich so erleichtert sein werde, dass sich alles aufgeklärt hat. Ich werde Verständnis dafür zeigen, dass es vielfach nicht anders geht, wenn man es mit Kriminellen, Perversen und notorischen Lügnern zu tun hat. Ich werde die Sache aus der Perspektive der Polizei sehen, und die Inspektoren aus meiner. Gut möglich, dass es zu einem Shakehands kommt.
Das stell ich mir so vor, während ich im orangefarbenen Overall auf meiner Holzpritsche liege. Die fluoreszierenden Deckenlampen tauchen die Zelle in ein scharfes, weißes Licht, in dem an Schlaf gar nicht zu denken ist. Im Keller der Westboro Police Station befinden sich vier Zellen, im traditionellen Stil mit Gitterstäben und Schiebetüren. Zwei Zellen sind besetzt. Beim Eintreten bin ich an einem traurig dreinblickenden Mexikaner vorbeigeführt worden, der allein in der ersten Zelle sitzt. Er starrt den Boden an, seine Hände im Schoß gefaltet. Seit über einer Stunde liege ich jetzt auf meinem Bett, ohne dass ich die leiseste Bewegung von dem Mann vernommen hätte.
Die schwere Stahltür, die in den Flur führt, öffnet sich, und ich höre das typische Klingeln eines Schlüsselbundes, im Hintergrund Stimmen. Jeder Ton wird von den Betonziegeln zurückgeworfen, Aufmerksamkeit heischend, den eigenen Gedankenfluss störend.
»Rodriguez«, ruft eine gelangweilte Stimme. Ich höre schlurfende Schritte und das Schlagen von Metall, als Rodriguez’ Zellentür geöffnet wird. »Nein, ist nicht nötig. Du gehst auf Kaution raus.« Ich stelle mir vor, dass Rodriguez aufgestanden ist und seine Hände auf den Rücken gelegt hat, in Erwartung der Handschellen. »Komm schon«, sagt der Hilfssheriff. »Komm raus. Du hast die Kaution gekriegt.« Rodriguez scheint kein Englisch zu verstehen, weshalb der Hilfssheriff immer lauter wird und schließlich in Tarzan-Sprache schreit: »NEIN! ALLES OKAY! KAUTION! KEINE HANDSCHELLEN! DU GEHEN!« Türen werden geöffnet und geschlossen, nach ein paar Augenblicken ist wieder alles ruhig. Ich bin jetzt der einzige Insasse im Westboro-Knast.
Ausgestreckt auf meiner Holzpritsche, starre ich an die Decke. Ich drehe mich hin und her, um es mir bequemer zu machen, aber versuch mal, auf einer Spanplattenbank ein wenig Komfort zu finden! Auch der Betonboden, die Edelstahltoilette und die Stahlstäbe in den Fenstern – alles auf Funktion und Haltbarkeit angelegt, nicht auf Bequemlichkeit. Sogar das Licht ist hier drinnen hart. Mir fällt ein, dass ich morgen früh wieder zum Verhör antreten muss und bis dahin möglicherweise keine Minute geschlafen haben werde.
Die Zelle ist fensterlos, und ich habe keine Ahnung, wie spät es ist. Könnte Mitternacht sein. Könnte vier Uhr morgens sein. Könnte aber auch schon nach der Frühstückszeit sein, die Tür könnte jeden Augenblick aufgehen, und Dave und Power-Grinser könnten draußen stehen, bereit, mich in meinen Verhörraum zurückzuführen, um mir dort immer wieder dieselben Fragen zu stellen. Aus irgendeinem Grund erscheint mir die Uhrzeitfrage plötzlich von so enormer Wichtigkeit, dass ich beinahe in Panik gerate. Wenn ich wüsste, wie spät es ist, würde das natürlich absolut gar nichts ändern, zumal ich in dieser Zelle ohnehin nichts weiter tun kann als herumsitzen und
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