Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Becher vor mich hin, und ich leere das Ganze mit einem einzigen Schluck runter, während er vor mir stehen bleibt. Er setzt sich, ohne mir noch was anzubieten.
»Wie heißen Sie?«, frag ich ihn.
»Mister Randall«, sagt er.
Mister! Er will sich offenbar keinesfalls mit einem Kinderschänder gemeinmachen.
»Danke, Mister Randall.«
Er nimmt keine Notiz von meiner Dankbarkeit, sondern vertieft sich gleich wieder in die Papiere vor ihm auf dem Tisch. Jetzt klopft es an der Tür, und der Wachmann teilt uns mit, wir wären die Nächsten an der Reihe beim Richter.
»Überlassen Sie mir das Reden«, sagt Randall, während der Wärter mir wieder Handschellen und Fesseln anzulegen beginnt. Um die Hüften wird mir ein Ledergurt gelegt, um die Knöchel Fußfesseln. Es ist schwer, nicht bedrohlich zu wirken, wenn du in Gefängnisklamotten daherkommst, dazu noch gefesselt wie Hannibal Lecter.
Der Gerichtssaal ist gerammelt voll von Fotografen, die alle zu knipsen anfangen, als man mich reinbringt. Ein Kameramann filmt mich, wie ich in Begleitung Randalls und zweier Wachmänner vor den Richter hintrete. Diesmal hab ich das Theater erwartet, und ich schenke ihm keine Beachtung, obwohl ich mir jetzt ganz gut vorstellen kann, wie sich die diversen Berühmtheiten dieser Welt fühlen müssen. Ich versuche, gerade vor mich hin zu blicken, während rund um mich das Blitzlichtgewitter abgeht.
Randall nimmt an einem leeren Resopaltisch vor dem Richter Platz, ich stehe neben ihm. Ich bemerke Randalls gekrümmte Schultern und überhaupt seine gesamte Haltung, wie von jemandem, der sich kleiner machen möchte, oder nach Möglichkeit gleich verschwinden. Mein Beschützer möchte sich in der Wandverkleidung verkriechen.
»Jeffrey Sutton, Sie sind der Entführung eines Menschen beschuldigt. Wie plädieren Sie?«
Ich stehe ein paar Sekunden schweigend da, zumal Randall mir eingeschärft hat, ihm das Reden zu überlassen. Dann stößt er mich in die Seite. »Sie müssen was sagen«, flüstert er.
»Nicht schuldig«, sage ich, und bin überrascht darüber, wie dünn meine Stimme klingt. Ich klinge so, als würde ich mich meiner schämen, wie ein Schuldiger, der hofft, nochmal davonzukommen, wenn er nur den Versuch wagt. Ich räuspere mich, um noch was zu sagen, aber der Richter hat bereits das Wort ergriffen.
»Untersuchungshaft«, sagt er. War ja klar. Überall die Kameras, um eine Kindesentführung zu dokumentieren, da wird der Mann einen Teufel tun, mich einfach so laufenzulassen. Bevor ich zum Nachdenken komme, bevor mein Anwalt zu Wort kommt, werde ich gleich darauf abgeführt. »Der Nächste«, höre ich den Richter sagen.
Eine kurze und einseitige Angelegenheit. Man hat mich aus dem Gefängnis herausgebracht, um mir mitzuteilen, dass man mich wieder zurück ins Gefängnis stecken würde. Diesmal allerdings nicht mehr in die Arrestzelle auf der Polizeistation. Jetzt geht’s in ein echtes, grundehrliches Gefängnis. Die Justizpolizisten bringen mich rasch zum Hintereingang des Gerichtssaales, ich immer schön schlurfend in meiner Ketten- und Lederausstattung. Würde ein Unschuldiger so elend dahinschlurfen? Na eben!
Ehe wir die Tür erreichen, ruft mir eine Frau aus der hintersten Sitzreihe was zu. Ich schaue mich um und erkenne die hübsche Blonde, die ich vor einigen Tagen in meinem Taxi hatte. Die mir das schöne Trinkgeld gab. Die Frau, deren Fenster ich berührt habe. »Wo ist meine Tochter?«, schreit sie durch den menschenüberfüllten Gerichtssaal. Sie versucht sich zu mir durchzuschlagen, quer durch den Raum voller Presseleute und Polizisten. »Was hast du mit ihr getan, du … BESTIE!«
Ich hoffe, die Polizisten schaffen mich rasch durch die Hintertür weg von hier, doch die stehen bloß wie angewurzelt da. »WO IST MEINE TOCHTER?«, schreit sie noch einmal. Der Kameramann hält ihre Versuche fest, sich zu mir durchzukämpfen. Das kommt gut im Fernsehen. Sie lassen sie durch die Menge durch bis hinter die Absperrung, die die Anwälte von den Zuschauern trennt. Jetzt müsste eigentlich der Richter mit seinem Hämmerchen auf den Tisch hauen und nach Ordnung rufen, zumindest läuft das in praktisch jedem Gerichtsfilm so ab. Doch der Richter guckt bloß zu, als würde er selbst vor dem TV-Gerät sitzen. Für ihn ist das eine Live-Unterhaltung. Mein Anwalt hat sich von mir entfernt, wie um zu demonstrieren, dass ihm mein Fall von oben zugeteilt wurde und er abgesehen von seinen rechtlichen Pflichten aber schon gar nichts
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