Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
die Frau vom Flughafen nach Hause gefahren.«
»Und dann haben Sie ihr Fenster entriegelt«, bla bla bla. Die ganze Story noch einmal.
»Ich will einen Anwalt.«
Ich war immer der Meinung gewesen, dass sie ihr Verhör unterbrechen müssen, wenn du einen Anwalt verlangst. Zumindest war das mein Eindruck aus dem Fernsehen gewesen, das mir, so muss ich jetzt feststellen, unrealistische Vorstellungen über die Arbeit der Justiz vermittelt hat. Sie sollten Warnhinweise an den TV-Geräten anbringen, wie sie auf Zigarettenschachteln üblich sind: ACHTUNG! Dieses Gerät vermittelt Ihnen unrealistische Vorstellungen!
Nachdem ich zum zehnten Mal um einen Anwalt ersuche, beginnen Dave und Power-Grinser zu gähnen und auf die Uhr zu schauen. Es ist spät geworden. Draußen muss es inzwischen dunkel geworden sein. Im Flur draußen hat der Betrieb hörbar nachgelassen, das Telefonklingeln ist seltener geworden. Die meisten Mitarbeiter der Polizeidienststelle haben das Büro anscheinend schon verlassen. Die beiden Inspektoren werfen sich einen Blick zu.
»Wir bringen das morgen zu Ende«, entscheiden sie, ohne mich zu fragen.
»Kann ich morgen einen Anwalt haben?«
»Stehen Sie auf.« Auf mein Verlangen will keiner von ihnen eingehen. Damit würden sie mir ungebührlich entgegenkommen. Sie sind unerschütterlich in ihrem Bemühen, die Gesellschaft zu schützen, ein Zurückweichen kommt da nicht in Frage. Power-Grinser, der vergessen hat, dass ich mit den Händen hinterm Rücken an den Sessel gefesselt bin, ist der Meinung, ich weigere mich, aufzustehen, also tritt er von hinten an mich ran und reißt mich hoch, sodass der Stuhl mitgerissen wird. Ich wanke und stürze gegen die Wand.
Es versteht sich, dass all dies hier auf Video aufgezeichnet wird, folglich versucht Power-Grinser, eine Show abzuziehen, als wär ich an allem Schuld. »Nur ja keine Aggressionen«, schreit er mich an, als hätte ich ihn angegriffen. Dann löst er meine Handschellen vom Stuhl und macht sie hinter meinem Rücken wieder fest.
Als wir in den Flur rausgehen, stelle ich fest, dass ich mindestens acht Stunden in diesem Raum verbracht habe. Die frischere Luft im Hauptbüro mit seinen zahlreichen Arbeitskojen und den gedämpften, fluoreszierenden Leuchten fühlt sich gut an. Meine Sinne haben die längste Zeit praktisch keine Nahrung erhalten. Alles, was ich zu sehen bekam, waren weiße Betonziegel, drei Stühle und ein Tisch. Kein Wunder, dass ich jetzt all die Dinge hier mit den Augen aufsauge. Papierkörbe, Tische, Gänge, Beschriftungen, verschiedene Stühle. Der Teil meines Gehirns, der für das Visuelle zuständig ist, wacht langsam wieder auf, und ich bemerke, wie anormal ein Zustand ist, in dem man nichts zum Anschauen um sich hat.
Ich werde einen Gang entlanggeführt, zurück in den schon bekannten Aufzug, in den man mich grob hineinschubst. Unten angekommen, wendet sich Dave, bevor er die Tür zur Parkgarage öffnet, zu Power-Grinser: »Bereit?«
»Na klar. Bereit.«
Ehe ich mir einen Reim auf die Situation machen kann, drückt Dave die Tür auf, und ich sehe mich einer ganzen Horde von Journalisten gegenüber. Blitzlichter von allen Seiten. Noch bevor ich raustrete, wendet Dave sich zu mir und fragt, ob ich meinen Kopf bedecken möchte.
»Nein.« Warum sollte ich mich verhüllen wollen? Ich war immer der Meinung, dass die Leute, die ihren Kopf bedecken, während sie von der Polizei abgeführt werden, die Situation falsch deuten. Letzten Endes kommen sie doch nur als Feiglinge rüber. Wenn du das Verbrechen nicht begangen hast, warum lässt du dich dann nicht fotografieren?
Wie sich herausstellt, bin ich doch nicht der Medien-Profi, für den ich mich gehalten hatte. Die Zeitungsleute haben ihre Geschichte längst geschrieben, meine Schuld steht demnach bereits außer Zweifel. Klar bin ich schuldig – oder würden die Bullen mich sonst in Handschellen abführen? Dass ich stolz und mit erhobenem Kopf an den Medienleuten vorbeigehe, wird diesen – wie ich später feststellen werde – in den kommenden Tagen jede Menge Anlass geben, sich über mein Verhalten zu entrüsten. Im Fernsehen werde ich genau zu der Kreatur, für die Dave und Power-Grinser mich halten: ein Kinderschänder ohne Reue, der auch noch stolz auf seine Taten ist und die Aufmerksamkeit genießt, die ihm zuteil wird.
Ich werde in den Fond eines Vans verfrachtet, mit dem sie mich auf die andere Straßenseite in das Untersuchungsgefängnis bringen. Die Heckfenster des Vans
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