Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
denken, ich hab ein Mädchen aus ihrem Wohnhaus entführt und allerhand mit ihr angestellt.«
»Was du nicht sagst – und das ist alles gar nicht wahr?« Er starrt mich an, erstaunt, dann wendet er sich an Ernesto, der inzwischen komplett weggetreten ist und ins Nichts starrt. »Hey, Ernesto, Mann, der Kumpel hier ist unschuldig.«
Nach all den Vernehmungen der letzten Tage fühlt es sich komisch an, dass da jemand meinen Worten ganz einfach Glauben schenkt. Ich wünschte mir, die beiden da wären die Bullen. – Ach, Sie haben’s nicht getan? Alles klar, dann können sie natürlich nach Hause gehen. Ernie blickt mich eine Minute lang unverwandt an, als blickte er mir in die Seele.
»O ja«, spuckt er dann aus, nachdem er endlich zu einer Lösung gekommen ist. »Der Kumpel ist unschuldig.« Ich stelle mir vor, dass ihm eine eingebildete Psychomagie zu seiner Einsicht verholfen hat, doch zu meiner Überraschung kommt er mit einer wissenschaftlichen Erklärung daher. »Kindermörder benehmen sich nicht wie du. Du benimmst dich wie ein normaler Typ. Diese Kindermörder sind alle still und schüchtern und so. Harmlos, ja, das trifft’s – Kindermörder versuchen immer, harmlos rüberzukommen.«
Der Lautsprecher kündigt das Ende der Pause an. Während wir uns ruhig in unsere Käfige zurückziehen, bin ich kurz freudig erregt. Es hat einfach was Aufbauendes, wenn dir geglaubt wird. Meine Worte bewirken was, ich spreche vernünftig, ich bin nicht verrückt. Während der Polizeiverhöre hat es einen Moment gegeben, da hab ich mich auf eine Weise auf die Ereignisse in der fraglichen Nacht konzentriert, dass ich mich tatsächlich zu fragen begann, ob ich das Kind nicht vielleicht doch entführt hatte. Womöglich habe ich die Erinnerung aus dem Gedächtnis gelöscht? In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass die Menschen einen starken Drang verspüren, alle das Gleiche zu glauben. Ich war von lauter Menschen umgeben, die alle der Überzeugung waren, ich sei ein Kindermörder. Wer bin schon ich, dem zu widersprechen?
Glücklicherweise ging der Augenblick vorbei, bevor ich irgendwas unterschreiben oder sagen konnte, das sie gegen mich hätten verwenden können.
Die Wärter versperren alle Käfige mit Schnappschlössern, dann führen sie uns einen nach dem anderen weg. Ich bin im Käfig gleich beim Ausgang, also gehe ich als Letzter. Als sie Ernesto an meinem Käfig vorbeiführen, wendet er sich an seine Wachleute und deutet mit dem Kinn in meine Richtung: »Der Junge da – unschuldig«, sagt er wohlgelaunt.
»Ach ja?«, sagt der Wärter, dann ruft er: »Haupttor aufmachen!«
Das Haupttor zu unserem kleinen Todestrakt-Innenhof geht mit einem Klick auf.
Der Junge da – unschuldig. Wenn das nur mal einer glauben würde, der nicht seinerseits irgendeine Mordstat ausgefressen hat.
Nun, es stellt sich heraus: Eine solche Person gibt es tatsächlich!
Nach ein paar Wochen habe ich einen Besucher. Da der Besucher ausgerechnet eine halbe Stunde vor der Pause auftaucht, bin ich in Versuchung, abzulehnen. Der tägliche Ausgang ist wichtig. Wir hier im Todestrakt haben auch unsere Rechte, und eines unserer Rechte ist es, Besuche abzulehnen. Genau genommen hat sich’s damit auch schon wieder mit unseren Rechten.
»Wer ist es?«
»Keine Ahnung. Bin ich Ihre Privatsekretärin?« So spricht Zeke, der Wärter. Ein Bodybuilder mit Glatze, der immer Kaugummi kaut. Er vermeidet konsequent Augenkontakt mit den Gefangenen und diskutiert seine persönlichen Angelegenheiten mit anderen Wärtern ungeniert vor uns Insassen. Für mich ein Grund, ihn nicht zu mögen. Sein üblicher Partner, ein junger Schwarzer namens Evans, ist der Nettere der beiden. Evans hat mir mal ein paar Tylenol zugesteckt, als ich Kopfschmerzen hatte, ohne dass ich ihn extra fragen musste.
Ich stehe mit dem Rücken zur Tür und stecke meine Hände durch den Schlitz, damit er mir die Handschellen anlegen kann. Dann führt er mich allein in den Besucherraum. Nur ein Wärter, und ganz ohne Fußfesseln – ich muss im letzten Psychotest wohl als ein ganz Harmloser rübergekommen sein.
An das Ritual der Türdurchschreitungen habe ich mich inzwischen gewöhnt. Tür vier aufmachen! Das Tor klickt auf, ein Summerton ertönt, wenn wir durchgehen. Tür drei aufmachen! Klick und Summen. Tür zwei aufmachen! muss immer dreimal gesagt werden, weil die Audiofunktion der über der Tür zwei montierten Überwachungskamera offenbar nicht funktioniert. Sollte mal
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