Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
sodass anlässlich meiner Entlassung aus dem Käfig eine Stimmung wie bei einem Klassentreffen aufkommt.
Ich frage mich, was hier im Todestrakt so als Konversations-Etikette gilt. Ist es cool, über das Datum deiner Exekution zu plaudern, oder darüber, wen der jeweils andere auf dem Gewissen hat? Oder reden wir lieber über Sport und das Wetter? Gibt es dieselben Rassenschranken, wie ich sie in Gefängnisfilmen gesehen habe, wo die Schwarzen nicht mit den Weißen sprechen und umgekehrt, obwohl wir ja nur sechs sind?
»Und was gibt’s in Hollywood so Neues, Mann?«, fragt mich Ernesto.
»Hollywood?« Ich versuche, cool zu bleiben. Vielleicht ein Ausdruck des Knastjargons, eine Art, wie man hier drinnen »Hallo« sagt. – Hey Bruder, was ist los in Hollywood? Ich zucke mit den Schultern.
»Na komm schon, mit Angelina Jolie und der ganzen Bande. Und Beyonce. Mit wem hängt Beyonce jetzt so rum?«
»Sind Angelina und Brad eigentlich noch zusammen?«, fragt Bert voll echter Neugier.
Darüber machen sich die Leute in den Todeszellen Gedanken? Wer hätte das gedacht! Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit den Ladys verbracht, die in der Münzwäscherei diese Magazine lesen. So kann ich leider nichts beitragen.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Angelina und Brad noch immer zusammen sind«, erkläre ich Bert mit der tröstlichsten Stimme, die mir möglich ist. »Wenn sich da was getan hätte, wär mir das sicher zu Ohren gekommen.« Ich scanne mein Gedächtnis nach Promi-Klatsch. Irgendwelche Titelseiten von Hochglanzmagazinen, die mir beim Anstellen an der Supermarktkasse aufgefallen sind. Das Beste, was mir noch einfällt: »Michael Jackson ist gestorben.«
»Scheiße, Mann, das hier ist der Todestrakt, nicht Sibirien. Ich weiß, dass Michael Jackson tot ist, das ist an die zwei Jahre her.« Ernesto findet meine Uninformiertheit über die aktuellen Entwicklungen merkbar empörend, wird aber von nostalgischen Gedanken abgelenkt. »Ich erinnere mich an den Tag, als Michael Jackson starb«, sagt er. »Einer der Wärter, den wir übrigens Löckchen nannten, weil er eine Glatze hatte, der ist jetzt nicht mehr hier, weil er Hepatitis oder so eine Scheißkrankheit bekommen hat, die dich ganz gelb macht, HEY CLARENCE«, ruft er über den Hof zu den beiden Schwarzen rüber.
Ernesto pflegt einen sehr speziellen Redestil und ist auf erstaunliche Weise unfähig, beim Thema zu bleiben.
»WAS?« Der Schwarze, der jetzt zurückruft, ist der Sänger vom letzten Mal, der beinahe explodiert wäre, als ich meinen ersten Versuch einer Knastkonversation unternahm.
»WIE HEISST DIE KRANKHEIT, DIE UNSER LÖCKCHEN ABBEKOMMEN HAT?«
»HEPATITIS.«
»Ja genau, Hepatitis war’s, und er hat hundert Prozent Behinderung bekommen, das heißt, du brauchst dein Lebtag lang nicht mehr zu arbeiten. Das heißt, dieser Arsch war so an die drei Jahre lang Gefängniswärter, und jetzt zahlt ihm der Steuerzahler die nächsten sechzig Jahre einen feinen Unterhalt.«
Dass ausgerechnet der Insasse eines Todestrakts sich über die Großzügigkeit des Pensionssystems aufregt, ist schon einigermaßen seltsam. Nicht weniger verwunderlich ist die Tatsache, dass er auf dieses Thema gekommen war, nachdem er ein paar Sätze zuvor über den Tod Michael Jacksons zu sprechen begonnen hatte. Bert ist derlei offenbar gewohnt. Er rollt die Augen und nimmt mich zur Seite.
»Nun sag schon, was hast du getan?«, fragt mich Bert in Klatschmanier.
»Du meinst beruflich?« Ich bin mir nicht sicher, ob das Reden über Verbrechen hier tabu ist.
»Nein, dein Verbrechen. Warum bist du hier drinnen?«
»Ich hab gar nichts angestellt. Sie haben den Falschen eingesperrt.«
Bert sieht mich mit dem Ausdruck großer Verwunderung an. »Du sagst, du bist unschuldig? Gibt’s doch gar nicht. Warum bist du verurteilt worden?« Er zeigt eine Emotionalität und Leidenschaft im Ausdruck, wie ich sie mir von Todeskandidaten im Knast sicher nicht erwartet hätte. Wie ein freundlicher Typ, den du in einer Bar triffst, ein Reisender vielleicht, einen Tick zu kontaktfreudig für meinen Geschmack, aber im Grunde ein anständiger Kerl. Was zum Teufel mag er auf dem Kerbholz haben?
»Ich bin nicht verurteilt worden. Man hält mich nur von den anderen Gefängnisinsassen fern, solange mein Fall in allen Medien ist. Die Sache hat ne Menge Staub aufgewirbelt.«
Er ist verwirrt. »Wen hast du umgebracht?« Schnell korrigiert er sich: »Wen hast du deren Meinung nach umgebracht?«
»Die
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