Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
damit zu schaffen haben will. Wenn diese Frau mich schlagen, treten und kratzen will, während ich als Fesselpaket einem Raum voller Zuschauer ausgesetzt bin – was soll’s! Letztlich stellt sich ihr der Gerichtsdiener in den Weg, nun ist sie aber schon nahe genug an mir dran, um mich anzuspucken. Und das tut sie auch.
»BESTIE!«, schreit sie. Die Kameras filmen sie, und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie denen – trotz ihres Schmerzes – eine Show liefert. So verhält sich eine trauernde Mutter. So hat sie’s im Lifetime- TV-Kanal gesehen. Ich erinnere mich an ihr Handytelefonat in meinem Taxi, als ich vermutet hatte, sie habe ein Verhältnis. »Sag mir, was du mit ihr getan hast! Sag’s mir!« Ihre Stimme schlägt in tierisches Geheul um. Speichelfäden hängen von ihrem Kinn herab.
Ich spüre ihre Spucke mein Kinn runterlaufen, als der Wachebeamte endlich die Tür öffnet, und die Augen der Menge in meinem Rücken brennen, als er sie hinter mir schließt.
Kapitel drei
I ch sitze in der Todeszelle, weil das für mich der sicherste Ort ist. Wie es aussieht, haben Kindesentführer im Gefängnisalltag alles andere als ein leichtes Leben. Deshalb sahen sie sich gezwungen, mich in Sicherheit zu bringen, und da hat sich nun mal meine eigene, höchstpersönliche Todeszelle angeboten. Amüsiert nehme ich das Ironische meiner Lage zur Kenntnis, aus Sicherheitsgründen bei Menschen untergebracht zu werden, die darauf warten, umgebracht zu werden.
Nach meinem Prozess werden die gewöhnlichen Knastbrüder natürlich jede Zeit der Welt zur Verfügung haben, mit mir nach ihrem Gutdünken zu verfahren. Doch bis dahin, vor der Gerichtsverhandlung, muss ich gesund und unverletzt bleiben. Während meiner ersten Tage in The Row ,wie wir den Todestrakt nennen, bekomme ich zwei Arztbesuche, einmal für eine komplette körperliche und einmal für eine psychische Untersuchung. Während meiner dreiundzwanzig Stunden Zellenaufenthalt pro Tag habe ich Zeit, eine weitere ironische Betrachtung anzustellen: Ausgerechnet in der Todeszelle findet sich zum ersten Mal ein offizieller Vertreter des Staates, der sich um meinen Gesundheitszustand zu kümmern scheint.
Bei der Untersuchung meines Geisteszustands geht es nicht darum, herauszufinden, ob ich ein Kindermörder bin. Sämtliche Fragen drehen sich um die Themen Selbstmord und Gefährdung anderer. Versuchen Sie manchmal, Probleme gewaltsam zu lösen? Stellen Sie sich häufig vor, dass Menschen, die Sie nicht leiden können, ein Unglück zustößt? Haben Sie jemals versucht, sich mit Haushaltsutensilien selbst zu schneiden? Im Laufe der Fragerei komme ich drauf, dass ich besser daran tue, ein gewisses Maß an Gewaltneigung einzuräumen (wer ist aber auch davor gefeit, einen Fluch auszustoßen, wenn er sich die Zehe anhaut?) – nur gerade so viel, um ihnen das Gefühl zu geben, dass ich aufmerksam zuhöre und nicht versuche, hier den Dalai Lama zu geben, aber nicht so viel, dass sie auf die Idee kommen, mich mit noch mehr Fesselungen oder was weiß ich welchen Maßnahmen zu quälen. Wie es scheint, habe ich meine Sache gut gemacht. Ich bekomme einen Kissenüberzug und eine Decke – der reinste Luxus, nur den geistig Stabilen vorbehalten, zumal man mit dem Zeug sich selbst oder andere strangulieren könnte.
In der ersten Woche verursachen die dreiundzwanzig Stunden tägliche Leere eine Langeweile, die so intensiv ist, dass sie sich in körperlichen Schmerzen manifestiert. Mein Körper will geradezu zerspringen aus dem Drang heraus, etwas zu tun, etwas anzuschauen, zu lesen, anzuhören. Schließlich ist mein Gehirn eine nahezu permanente Stimulation gewohnt gewesen – durch meinen Fernseher und mein Internet zu Hause, dazu einen Fulltime-Job. Taxifahren ist ein stark visuell geprägter Beruf. Jetzt müssen sich die gleichen Neuronen, die noch bis vor kurzem Autobahnen und den Stadtverkehr, die Farben und Lichter von Downtown Dallas verarbeiten mussten, mit einer Edelstahltoilette und einem gut fünfzehn Zentimeter breiten und einen Meter dreißig hohen Fenster zufriedengeben.
Die einzige Erleichterung stellt die Pause dar, wie ich unsere tägliche Stunde außerhalb der Zelle nenne. Ich versuche, keine Freude zu zeigen, wenn ich höre, wie mein Türriegel zurückgeschoben wird. Das würde die Aufseher nur auf die Idee bringen, diese Annehmlichkeit zu instrumentalisieren und sie mir beim geringsten Anlass zu entziehen. Keinesfalls dürfen sie wissen, wie
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