Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
»Ich will aussagen.« Randall wirft einen Blick darauf und schüttelt den Kopf. Eine Schweißperle tropft von seiner Stirn und landet auf dem Tisch.
Es folgt ein Herumgeschiebe von Papieren, Geflüster zwischen verschiedenen Leuten, und der Richter stellt meinem Anwalt und dem Staatsanwalt Fragen, die so mit juristischen Ausdrücken gespickt sind, dass ich nichts mitbekomme. Wieder werden Unterlagen ausgetauscht. Von den Gerichtssaalfilmen im Fernsehen hatte ich den Eindruck bekommen, dass die Sache ein wenig schneller abläuft und auf einen Höhepunkt zusteuert, auf dem die Kronzeugen einbrechen oder in ihrer Aussage unfreiwillig die entscheidende Information preisgeben. In der Realität dreht sich das Drama beispielsweise um eine Gerichtsdienerin, die der Richterin mitteilt, dass die Verhandlung so lange unterbrochen werden muss, bis sie das Formular 817-6 gefunden hat.
Schließlich wird eine Zeugin aufgerufen, eine kleine Mexikanerin, die mehr als eine halbe Stunde lang nichts weiter zu Protokoll gibt, als dass das Fenster, auf dem mein Fingerabdruck gefunden wurde, immer verriegelt war. Offenbar die Putzfrau. Dann erscheint ein Wasserzählerableser vom Wasserwerk, der in einer weiteren halben Stunde genau dieselbe Aussage macht. Als es an Randall ist, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, schüttelt dieser nur den Kopf: »Keine Fragen.«
Es folgt eine Pause. Ich werde zurück in den Garderobenraum gebracht, wo man mich mit zwei Zeitung lesenden Justizwacheleuten einsperrt. Ein paar Minuten später kommt Randall mit einer Tasse Kaffee und einem Sandwich für mich nach.
Der Kaffe ist gar nicht übel. Der erste Kaffee seit zehn Monaten. Im Gefängnis wird keiner serviert, und das warme, volle Aroma erinnert mich daran, wie sehr ich ihn vermisst habe. Er hat mir ein Reuben -Sandwich mit Corned Beef auf Roggenbrot mit Krautsalat gebracht. Verglichen mit dem Gefängnisessen ist diese Delikatesse aus einem Gerichtsladen ein Meisterstück, absolute Haubenküche! Wortlos genieße ich Bissen für Bissen und denke dabei, das war’s dann wohl. Vielleicht wird das alles sein, was mir meine Tage bei Gericht eingebracht haben – die Gelegenheit, Kaffee zu trinken, und den Genuss echt guter Sandwiches.
Es stimmt, was ich schon im Krankenhaus überlegt hatte: Ich hätte tatsächlich öfter mal richtig mittagessen gehen sollen.
Wir sind zurück im Verhandlungssaal, und während ein Zeuge in den Zeugenstand gerufen wird, macht sich bei mir die Tatsache bemerkbar, dass ich seit ewigen Zeiten keinen Kaffee gehabt hatte. Nun reagiere ich überempfindlich auf die bekannten Wirkungen des Kaffees. Das Koffein macht mich ganz kribbelig, und meine Blase ist so voll, dass es richtig wehtut. Was für einen Eindruck es wohl machen würde, wenn ich mich vor den Geschworenen anpissen würde?
Ich gebe Randall Bescheid, der zuerst verärgert schaut, aber dann, nachdem ich ihn ein zweites Mal darauf anspreche, die Richterin um eine kurze Pause bittet. Mindestens fünfzig Leute warten beschäftigungslos auf mich, während ich von zwei bewaffneten Männern zur Toilette eskortiert werde, um zu urinieren.
Meine Blase ist leer – es kann weitergehen. Der nächste Zeuge ist Inspektor Dave. Ich beobachte ihn, wie er den Eid ablegt und in seinem Stuhl Platz nimmt. Außerhalb des Vernehmungsraums wirkt er nervös und klein. Als ich ihn das letzte Mal sah, war ich in Handschellen, und er war zornig und bewaffnet und von mehreren anderen Bewaffneten umgeben. Ich werde mir bewusst, dass ich damals Angst vor ihm und seiner Macht hatte. Demgegenüber erscheint er hier verletzlich. Ich bin überrascht über den Unterschied, als ich ihn mit leiser Stimme die Fragen des Staatsanwalts beantworten höre.
Der Inspektor übt diesen Beruf seit fünf Jahren aus, obwohl er schon seit fünfundzwanzig Jahren im Westboro Police Department arbeitet. Der Staatsanwalt stellt ihm ein paar Minuten lang Fragen zu seiner Karriere, um seine berufliche Qualifikation abzuklären. Wie es aussieht, saß er gerade mit seiner Frau am Frühstückstisch, als er telefonisch über ein abgängiges Kind informiert wurde. Faszinierend! Er wurde als leitender Ermittler in dem Fall eingeteilt, und er entschied sich für Kyle Morton, den Mann mit dem Power-Grinser, als Partner. Die Tatortmannschaft fand einen Fingerabdruck auf dem Fensterbrett, der auf mich, den Verdächtigen, zurückgeführt werden konnte (jetzt zeigt Inspektor Dave in einer dramatischen Geste mit dem Finger auf mich),
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