Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Verdächtigen ins Spiel gebracht hatte, aber Dave wehrt alle Fragen mit der simplen Entgegnung ab, Watson sei einfach auf der falschen Fährte. Randall lässt Dave in jedem Detail nacherzählen, wie er versucht habe, die beiden Mädchen zu finden, die sich meiner Aussage nach im Auto übergeben hatten. Dave erledigt diese Aufgabe mit viel Geduld. Nach neunzig Minuten fragt Randall schließlich: »In wie vielen Fällen mit vermissten Personen haben Sie bisher ermittelt?«
Das Schmunzeln verschwindet. »Ich weiß es nicht«, sagt Dave nach einer kurzen Pause.
»Könnten Sie uns einen Anhaltspunkt geben? Zehn? Zwanzig? Hundert?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht gezählt.« Dave ist jetzt sichtlich verärgert.
»In wie vielen Tötungsdelikten haben Sie ermittelt?«
Dave zuckt mit den Achseln. »Ich … weiß es nicht.« Seine Stimme klingt jetzt weniger verärgert als vielmehr verwirrt. Randall wird zunehmend aggressiv.
»Dann lassen Sie mich Ihnen auf die Sprünge helfen«, sagt Randall, dessen Zittrigkeit verschwunden ist, mit klarer und fester Stimme. »Sie sagen, Sie sind seit fünf Jahren Inspektor, korrekt?«
»Ja«, sagt Dave.
»Na schön, in den letzten fünf Jahren gab es in Westboro zwei Fälle von Tötungsdelikten – haben Sie in einem dieser Fälle die Ermittlungen geleitet?«
»Nein«, sagt Dave. Auf seiner Stirn zeichnen sich Schweißperlen ab.
»Dies ist also Ihre erste Ermittlung in einem Mordfall, nicht wahr?«
Dave schließt die Augen; unübersehbar muss er sich zusammennehmen, um seine Wut im Zaum zu halten. Endlich sehe ich ihn mal dieselben Emotionen erleiden, die er damals in mir ausgelöst hat. »Ja«, sagt er. »Aber ich sehe nicht …«
»Danke«, sagt Randall. »Keine weiteren Fragen.« Dann nimmt er Platz.
Was für ein Vergnügen, zuzuschauen, wie dieser Arsch im Zeugenstand erniedrigt wurde. Mehr als jeder andere ist dieser Saukerl dafür verantwortlich, dass ich hier sitze, und auch wenn die ihn erniedrigenden Fragen mit meinem Fall nichts zu tun hatten – es war eine Freude, ihn öffentlich blamiert zu sehen.
Indessen – ich befinde mich auf einer langen Reise, in deren Verlauf immer wieder auch ganz andere Gedanken hochkommen, und meine Stimmung ändert sich. Die Fragen, die ihn so bloßstellten, hatten ja tatsächlich nichts mit meinem Fall zu tun. Dave wollte nur verhindern, dass die Jury von der geringen Verbrechensrate in Westboro erfährt und daraus womöglich den Schluss zieht, die Polizisten hierorts seien unterbeschäftigt. Doch abgesehen davon, dass sein Erfahrungsmangel zur Schau gestellt wurde, war Dave ein solider Zeuge. Randall hat es nicht geschafft, ihn bezüglich der Beweissituation zu verunsichern. Die Arroganz und Selbstgewissheit, die ihn zu dem Scheißkerl machten, der er nun mal ist, sind ihm als Zeuge der Staatsanwaltschaft zugutegekommen.
Während ich mir die Situation vergegenwärtige, höre ich wieder Roberts Worte. – Was haben die davon, dich laufenzulassen, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, dass du schuldig bist? Das mir angelastete Verbrechen ist so widerlich, dass dies in meinem Fall ganz besonders zutrifft. Wer will schon, dass jemand in der Stadt rumläuft, der möglicherweise ein Kinderverführer ist? Die Geschworenen müssen die Zeit ja nicht mit mir absitzen. Denen reicht es schon, wenn sie einigermaßen sicher sind, den Richtigen erwischt zu haben.
Ich mache mir meine Gedanken über die Geschworenen. Da ist eine ältere Frau in einem bedruckten Kleid, ihre Haare zu einem strengen Dutt geknotet. Ihr Blick ist fest und unverwandt, wenn sie mich angewidert ansieht. Die wird jedenfalls für schuldig stimmen. Da ist noch eine Frau, die attraktive Brünette, anscheinend die Jury-Sprecherin. Sie scheint hingerissen von Dave, blickt ihn mit der Ehrfurcht eines verschossenen Teenagers an. Die Leute lassen sich in der Regel von Polizei-Offizieren übermäßig beeindrucken. Ich kann mir vorstellen, dass die auch für schuldig plädiert.
Wer ist dann auf meiner Seite? Vielleicht der jüngere, künstlerisch aussehende Spaßvogel mit den langen Haaren und einer Tätowierung am Hals? Könnte Maler oder Musiker sein. Vielleicht die ältere Schwarze mit den gütigen Augen. Sie sieht aus, als hätte sie schon viel gesehen in ihrem Leben. Vielleicht werden diese beiden die idiotischen Aussagen Daves ignorieren und sich nur auf die tatsächlichen Beweise verlassen, und bemerken, wie wenig fundiert diese sind.
Ich mache mir schon ein
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