Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
bekannte Logik des Strafrechtssystems auf seiner Seite, und er hat eine echte Chance, dass all dies für ihn schon heute Abend nur mehr Erinnerung sein wird. Ich stelle mir vor, wie er mit seiner Familie im Esszimmer zu Abend isst, wie er seine Eltern, Brüder, Schwestern mit Knastanekdoten unterhält. Vielleicht erzählt er ihnen auch von seiner morgendlichen Fahrt zum Gericht mit einem Typen aus dem Zeugenschutzprogramm. Josh wird eine zweite Chance kriegen, eine Gelegenheit, all dies hinter sich zu lassen. Wenn jemals wieder die Sprache darauf kommt, wird er diese Zeit in seinem Leben als »Fehler« abtun können.
»Dann wünsch ich dir viel Glück«, sag ich zu ihm.
»Dir auch«, sagt er, und auch wenn er keine Ahnung hat, wessen ich angeklagt bin, glaube ich, dass er es ehrlich meint.
Die Fahrt dauert beinahe zwei Stunden, dann fahren wir in die Parkgarage und halten an denselben Stahltoren, die ich zuletzt am Tag meiner Verhaftung gesehen habe. Ich möchte nicht von Nostalgie sprechen, aber die Erinnerung daran ist fast schon angenehm, da inzwischen die Angst und Verwirrung dieses Tages gewichen sind und einem stumpfen Zorn und einer Desillusionierung Platz gemacht haben. Dieses Mal ist mir der Grund meines Hierseins vollkommen klar.
Die Wärter steigen aus und entriegeln die Tür. Ein großer, aggressiv aussehender Mann in einem gut geschnittenen Anzug wartet auf Josh. So hätte ich mir meinen eigenen Anwalt auch vorgestellt. Einer der Officers begleitet sie, als sie durch die Stahltüren abgehen. Von Randall ist weit und breit nichts zu sehen.
»Sutton«, liest einer der Polizisten meinen Namen von einem Klemmbrett. »Sie fahren in den vierten Stock rauf, da oben können Sie sich umziehen.« Er legt mir Handschellen an und fährt mit mir in einem Dienstaufzug zusammen mit dem anderen Officer und zwei uniformierten Polizisten hoch. Niemand redet ein Wort, als ich in einen kleinen Raum mit viel verziertem Holz geführt werde. Der Anzug aus der Kleiderkammer des Gefängnisses hängt an der Türinnenseite. Während ich mich umziehe, bleibt der Wärter an der Tür stehen. Als ich fertig bin, betrachte ich mich im Spiegel und bewundere noch einmal den Schnitt des Anzugs. Ich stelle fest, dass ich keine passenden Schuhe dabeihabe, und schlüpfe wieder in meine weißen Gefängnis-Sneakers. Lächerlich sieht das aus.
Zu spät. Daran hätte ich früher denken müssen.
Randall kommt herein, er sieht nervös und verunsichert aus. Er sieht mich an und nickt. »Das ist gut«, sagt er, auf den Anzug bezogen.
Als ich ihm meine Sneakers zeige, zuckt er die Achseln. »Lassen Sie Ihre Füße unterm Tisch. Sie werden nicht viel Grund haben, herumzugehen.«
Ich zucke mit den Achseln. Ich wollte wirklich gut aussehen für die Verhandlung. Das ist schließlich meine letzte Chance, einen guten Eindruck zu machen. Jetzt wird mir allerdings aus dem Nichts heraus ganz mulmig im Bauch, ich fühle meine Nerven flattern, und das macht mich schwindlig. Ich setze mich an den kleinen Tisch, Randall stellt seine Aktentasche ab und setzt sich neben mich. Ich kann seine Angst beinahe schmecken. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn.
»Ich habe schlechte Neuigkeiten«, sagt er, während ich daran denke, wie blöd ich in meinen Sneakers aussehe und wie nervös Randall wirkt. Mein Anwalt hat Lampenfieber, und ich bin gekleidet wie ein Clown. Die Verhandlung hat noch nicht begonnen, und ich weiß bereits, dass ich verlieren werde.
»Worum geht’s?«
»Frau Gravatte, eine Ihrer Charakterzeuginnen, ist letzte Nacht gestorben.«
Ich stütze meinen Kopf in die Hände. Instinktiv will ich sagen, dies sei ja nun das Letzte, was ich brauchen kann, doch will ich der freundlichen alten Dame, die für mich aussagen wollte, meinen Respekt zollen, also sage ich: »Jammerschade.«
Randall nickt. »Bleibt noch Karen Eames. Ich glaube aber, es wäre wichtig, mehr als einen Charakterzeugen zu haben.«
»Donnie, mein alter Disponent, der könnte es machen.«
Randall schüttelt den Kopf. »Es ist nicht gut, jemanden von der Arbeit zu nehmen. Leider werden Serienmörder in der Öffentlichkeit als für gewöhnlich gute Mitarbeiter wahrgenommen. Das könnte kontraproduktiv sein.«
Ich rolle die Augen. »Großartig. Ich kann verdammt nochmal gar nicht gewinnen.«
Randall scheint zum selben Schluss gekommen zu sein. Seine Augen sind Fanale von Resignation und Furcht, als er sich erhebt und mir bedeutet, ihm zu folgen: »Es ist Zeit«.
Kapitel
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