Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Urteil über die Jury, bevor die Verteidigung überhaupt einen Zeugen berufen hat. Ich bin verzweifelt. Dann wieder schöpfe ich Hoffnung. Ich muss aufhören damit, bevor ich durchdrehe oder mein Körper zu streiken beginnt.
Als wir von der Autobahn runterfahren, fällt mir auf, dass Josh, mein Kumpel von heute Morgen, nicht mehr dabei ist. Der Richter hat ihn wohl laufenlassen. Er hat sich der Hoffnung geöffnet, und es hat sich für ihn bezahlt gemacht. Wahrscheinlich sitzt er gerade mit seiner Familie beim Abendessen, für ihn ist der Horror des Gefängnisses schon nur mehr Geschichte. Ich versuche mich an sein Gesicht zu erinnern – vergeblich. Auch er ist einer der zahllosen Menschen, die ein paar Augenblicke meines Lebens mit mir teilten, ehe sich unsere Wege wieder getrennt haben. Wieder einer von den – gar nicht so wenigen – Typen, die es besser getroffen haben als ich.
Während ich im Ladedock auf meinen Van warte, fällt mir ein, dass ich Robert erst nach Ende des Prozesses wiedersehen werde. Ich werde sämtliche Pausen-Ausgänge versäumen, und wenn ich schuldig gesprochen werde, steckt man mich wahrscheinlich zu den Normalos. Sollte ich andererseits das Glück haben, zum Tode verurteilt zu werden, könnte ich wahrscheinlich meine Zelle behalten und jeden Tag mit Robert abhängen – damit wird dieses Ergebnis zum zweitbesten aller denkbaren Szenarien.
Ich überlege, ob ich möglicherweise aufgegeben habe.
Der Lieferwagen holt mich ab, und ich freue mich, Evans zu sehen, meinen Lieblingswärter, begleitet von einem Neuen. »Tagesausflug in die Stadt«, sagt Evans mit einem Grinsen, als er mich die Ladedockstufen hinunter zur Hecktür des Wagens begleitet.
Der Neue legt mir die Fesseln an. »Sie sind also Sutton, oder?«, fragt er, während er die Bügel prüft, mit denen ich an den Boden gekettet bin. Ich denke, er will sich nur vergewissern, dass er den richtigen Häftling hat, also nicke ich.
»Fragen Sie Evans«, sage ich, »der kennt mich.«
Der neue Wärter lacht. Ein beleibter Kerl ist das, mit kurzgeschorenem Haar und einem offenen, irischen Gesicht. Auf seinem Namensschild lese ich den Namen Doyle. »Ich hab Sie nicht deshalb gefragt«, sagt er mit seiner ungewöhnlich lauten Stimme. »Ich wollte bloß wissen, ob Sie’s getan haben.«
»Was getan?«
»Dieses Mädchen entführt.«
Ich bin überrascht, dass ein Wärter die Details meines Falles kennt, und sogleich frage ich mich, warum dies der Fall ist. Ist er ein Spitzel? Ein Geheimagent, der auf mich angesetzt wird, um rauszukriegen, wo ich die Leiche vergraben habe, damit die Familie ihren Seelenfrieden findet? Meines Wissens kommt so was immer wieder vor. Wenn die glauben, dass du was weißt, versuchen sie mit allen möglich Tricks, dich reinzulegen. Das weiß ich von Robert.
»Ich hab’s nicht getan«, sage ich. Es ist das erste Mal, dass ich meine angebliche Tat einem Wärter gegenüber bestreite. Alle Wärter wissen, was du getan hast oder wessen du beschuldigt bist, doch sie reden nicht mit dir darüber. Warum sollten sie auch? Wir alle wissen, dass die Beamten im Strafvollzug auf die Rechtsprechung keinen Einfluss haben.
Doyle nickt. »Wenn das stimmt, was Sie sagen, dann ist das echt scheiße, Mann«, sagt er.
»Sie haben ja keine Ahnung, was für eine extreme Scheiße das ist.« Doyle sieht mich lange an, bevor er mit einem mitleidvollen Kopfschütteln die Tür schließt. Als er auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, rufe ich ihm durchs Gitter zu: »Warum wissen Sie über meinen Fall Bescheid?«
»War heute in der Zeitung.« Er winkt mit einer Tageszeitung. »Ein paar Polizisten aus Waco haben kritisiert, wie die Westboro-Kriminalisten Ihren Fall bearbeitet haben.«
Da schau mal einer an! Die Leute haben von meinem Fall gehört! All die Monate in Isolation hab ich mich als vollkommen vom Erdboden verschluckt empfunden. Mit der Zeit ist alles mit meinem Namen drauf ungültig geworden. Mein Führerschein, meine Taxilizenz, meine Kreditkarten – alles abgelaufen. Meine Anschlüsse an sämtliche öffentlichen Netze wurden gekappt, meine Wohnung ausgeräumt und wieder vermietet. Ich bin wegradiert. Und dann steh ich da in der Zeitung. Ich existiere noch!
Doyle springt aus dem Wagen und entriegelt meine Hecktür, dann legt er mir die Zeitung in den Schoß. Als er wieder einsteigt, nimmt auch Evans auf dem Fahrersitz Platz. Er dreht sich zu mir um und blickt mich durchs Gitter an. »Schon gesehen, du stehst in der
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