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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Levison
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acht
     
    Meine Verhandlung beginnt mit viel Warten. Ich sitze an einem Tisch mit Randall, der unter einer Adrenalin-gesteuerten Hypernervosität zu leiden scheint. Seine Hände zittern, während er die Akten aus der Tasche holt. Endlich kündigt der Gerichtsdiener die Richterin an. Alle stehen auf. Sie ist eine attraktive, ältere Dame mit freundlichen Augen. Sie nimmt auf dem Podium Platz und fängt an, sich mit ihren Unterlagen zu beschäftigen. Ihre mütterliche Erscheinung finde ich beruhigend – doch dieses Gefühl ist nur von kurzer Dauer. Als sie zu mir herüberschaut, verengen sich ihre Augen, und sie setzt Bifokalbrillen auf, die ihr einen fiesen und effizienten Ausdruck verleihen. Sie ruft den Staatsanwalt zu sich, die beiden flüstern einige Minuten miteinander und tauschen Unterlagen aus. Ich beginne tief zu atmen, um mich zu entspannen.
    Ich vermeide es, mich im Gerichtssaal umzublicken. Beim Hereinkommen durch die Seitentür habe ich die Mutter gesehen, die mich angespuckt hat. Sie sitzt mit ihrem Mann auf einem Platz nahe der hinteren Wand, und ich spüre ihren starren Blick im Genick brennen, während ich versuche, mich zu beruhigen. Die Mitglieder der Jury starren mich ebenfalls an – auch ihrem Blick weiche ich aus. Journalisten sind ebenfalls gekommen, und wahrscheinlich einige Leute aus der Gegend, die nur neugierig sind. Alle versuchen sie, einen Blick auf mich zu erhaschen. Sie versuchen, Augenkontakt mit mir herzustellen, um mir in die Seele zu blicken. Jedes Mal, wenn ich meinen Kopf drehe, wenden die mich anstarrenden Leute ihren Blick ab.
    So fühlt es sich an, wenn man gehasst wird. Ich dachte, die Geschworenen seien dazu da, über meine Schuld zu entscheiden, doch jetzt habe ich das Gefühl, sie sind dazu da, mich zu hassen, ihre Verachtung auszustrahlen. Sie wissen ganz genau, welche Entscheidung man von ihnen erwartet. Schließlich blicke ich rüber zu ihnen und nehme Augenkontakt mit einer jungen Frau mit dunklen, lockigen Haaren und großen braunen Augen auf. Ich bemerke, wie sich ihr Gesichtsausdruck verhärtet, als ich sie angucke. Ich schaffe es nicht, zu lächeln, um sie womöglich sanfter zu stimmen. Wende mich stattdessen wieder ab.
    Ich weiß, dass es vorbei ist. Ich hätte einfach auf schuldig plädieren sollen, anstatt mir das hier tagelang anzutun. Wie konnte ich nur daran glauben, eine Chance zu haben?
    Die Anklage wird verlesen, ich stehe wieder auf. Dann tritt der Staatsanwalt, ein perfekt gekleideter Endvierziger, hervor und legt los. Er informiert die Geschworenen darüber, was für ein böser Mensch ich bin, wie wenig ich übrighabe für alles Normale, das den Menschen am Herzen liegt, und dass ich den Rest meinen Lebens im Gefängnis sitzen sollte. Ich habe diesen Mann niemals getroffen, nicht mal gesehen. So dazusitzen und mir seine Aufzählung meiner Verbrechen anzuhören, versetzt mich beinahe in einen Schockzustand. In mir wächst der Drang, ihn anzuschreien, doch ich war lange genug im Gefängnis, um gelernt zu haben, wie man seinen Zorn vor Publikum unterdrückt.
    Der Staatsanwalt spricht mit tiefer und durchdringender Stimme. Als er fertig ist, steht Randall auf. Er klingt verwirrt und heiser. Mit seiner Körpersprache verrät er, dass er viel lieber nicht hier sein möchte. Er sagt, ich sei unschuldig. Kurz darauf verliert er offenbar den Faden und sagt das Gleiche noch einmal. Ich möchte mein Gesicht in den Händen vergraben.
    »Dieser … äh, dieser Mann«, sagt Randall, und zeigt auf mich, »ist das Opfer der … Polizei … die einen Verdächtigen wollte und der es egal war, ob sie den richtigen Verdächtigen hatten.« Das ist zwar richtig, aber nicht gerade eloquent vorgebracht. »Wir werden beweisen, dass man diesem Mann den Beweis …« Du lieber Gott! Er stammelt ja nur vor sich hin. Als er zum Ende seines Satzes kommt, sitzen einige Mitglieder der Jury mit angestrengt zusammengekniffenen Augen da, um seinem Gedankengang folgen zu können.
    Okay, die erste Runde ist mal in die Hosen gegangen. Vielleicht entspannt er sich ja noch. Ich selbst beruhige mich allmählich. Der erste Schock, als mich nach monatelanger Isolierung in meiner Zelle alle diese Leute angestarrt haben, ist überwunden. Ich habe das Gefühl, ich könnte mich selbst besser verteidigen, als der Typ das macht. Ich hätte Lust, ihm seine Notizen aus der Hand zu reißen und zu übernehmen. Auf den kleinen Notizblock, der zwischen mir und Randall auf dem Tisch liegt, schreibe ich:

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