Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
oder weiß. Die Gardinen vor den drei Meter hohen Fenstern sind in Gold und Weiß gehalten, die Bettdecke auf dem Doppelbett ist goldfarben und weiß. Der Marmor auf den Kommoden ist weiß, die Einfassungen alle in Gold gestrichen. Ich schließe die Tür und gehe zum Bett rüber, setze mich auf den Bettrand, genau so, wie ich es im Gefängnis auch immer gemacht habe. Das Bett ist allerdings größer und komfortabler. Ich streiche mit der Hand über die Bettdecke und spüre die glatte Kühle der Goldfäden – was für ein Unterschied zur groben Knastdecke!
Ich schaue mich um. Überall in diesem Zimmer stehen Dinge herum, mit denen ich mich ersticken oder aus denen ich Messer basteln könnte.
Ich gehe in das Badezimmer und schalte das Licht ein. Ich könnte die Stange des Duschvorhangs zu einem Stück scharfkantigem Metall zurechtbiegen und mir damit die Kehle aufschlitzen. Nicht mal eine Minute würde ich dafür brauchen.
Ich könnte diese Zahnbürste jemandem ins Auge rammen. Wenn ich ein paar Reinigungsprodukte finde, könnte ich wahrscheinlich mit dieser Seife eine Chemikalie zusammenmischen, mit der ich jemanden blenden könnte. Ich könnte mit dem elastischen Duschschlauch aus Metall einen Wärter erdrosseln. Über die Duschtür aus Glas reden wir erst gar nicht. Mit den Scherben aus diesem Ding könnte ich jeden einzelnen Bewohner dieser Etage ins Jenseits befördern.
Ich mache die Duschtür zu, die sich dank ihrer hydraulischen Scharniere stets ganz sanft und leise schließt, wie fest auch immer sie zugeschlagen wird.
Ich gehe zurück in den Wohnraum, wo eine Tafel Schokolade für mich bereitliegt, obendrauf eine frische Erdbeere. Gedankenlos esse ich sie auf, mit einem Bissen, einmal Schlucken, den Stielansatz werfe ich in einen bereitstehenden goldweißen Mülleimer. Neben der Schokolade liegt eine Karte.
An unseren lieben Gast. Bitte wenden Sie sich jederzeit an unser Personal, wenn …
Ab in den Mülleimer. Ich hatte mir was Persönlicheres erwartet.
Ich trete ans Fenster, ziehe die goldene Kordel zurück (Strangulationsgefahr … das reinste Würgeisen ist das!) und öffne den weißen Vorhang. Die ganze Stadt Dallas liegt zu meinen Füßen. Es ist ein schöner Nachmittag.
Scheiß auf dich, sage ich laut. Ich halte meinen Mittelfinger zum Fenster hin. Scheiß. Auf. Dich.
Ich schleudere meine weißen Tennisschuhe von mir und setze mich aufs Bett.
Kapitel zehn
Mitten in der Nacht wache ich schweißgebadet auf. Ich höre das Summen der Klimaanlage, das unglaublicherweise hier lauter ist als im Gefängnis. Vergiss das Plaza-Hotel, wenn du eine angenehme Nachtruhe wünschst … versuch mal die Pritschen im Todestrakt. Da schläfst du wie ein Baby, seit Clarence nicht mehr da ist.
Ich schalte das Licht ein und starre die Tür an. Wenn ich will, kann ich sie öffnen. Ich stehe auf, und als ich meine Füße abstelle, erwarte ich kalten Beton, doch meine Füße treffen auf einen Teppich. Ich stehe auf, genieße das schöne Gefühl, dann gehe ich zur Tür. Ich öffne sie und spähe hinaus.
Im selben Augenblick geht eine Frau vorbei, eine hübsche, junge Frau mit dunklem Haar, eine Stewardess, die ihr Köfferchen hinter sich herzieht, so wie die Mutter des entführten Mädchens an dem Tag, als sie mein Taxi bestieg. Sie erschrickt, als sie mich in der Unterwäsche in meiner Tür stehen sieht. Eiligen Schrittes trippelt sie an mir vorbei und sucht hastig nach ihrer Schlüsselkarte. Ich schlage die Tür zu und fange heftig zu schwitzen an. Was habe ich getan? Jetzt kommt sicher gleich die Elitetruppe der Polizei. Ich habe mich vor einer Frau entblößt!
Ich versuche mich zu beruhigen. Ich bin in der Unterwäsche, nicht nackt, und habe nichts weiter getan, als meine Hotelzimmertür zu öffnen. Ich reagiere übersensibel darauf, wie man meine Handlungen interpretieren könnte. Alles wird gut. Ich atme tief.
Ich frage mich, wozu mein Tagebuch sein soll. Warum wollen sie es? Ich spüre einen starken Schmerz auf der Seite, wo mein Blinddarm entfernt wurde. Vielleicht haben sie ein Stück des infizierten Blinddarms vergessen, wo sonst sollte der Schmerz herkommen? Vielleicht ist das aber auch normal, ein Phantomschmerz, wie wenn du einen Arm verlierst und ihn nachher noch immer spüren kannst. Das ist auch der Grund für mein Schwitzen. Ich lege die Hand über meine Rippen und krieche zurück ins Bett, und nachdem das Licht aus ist und ich mich dazu zwinge, normal zu atmen, lässt auch der Schmerz
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