Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
vorbeigehe. Am meisten fällt auf, dass die Gehsteige verschwunden sind. Die Läden wandeln sich von Cafeterias und Geschäften für den Haustierbedarf zu Discount-Reifenhändlern und Teppich-Outlets. In drei oder vier Meilen werde ich ausschließlich mit Spirituosenläden, Waffengeschäften, Bestattungsunternehmen und Baptisten-Kirchen konfrontiert sein. Spätestens dann ist es Zeit, ein Taxi zu rufen.
Wenn ich es mir recht überlege, ist es verdammt schwierig, hier draußen ein Taxi zu kriegen. Ich selbst war nie begeistert über Fahrgäste, die in South Dallas abzuholen waren. Manchmal behaupten die Fahrer, sie seien zur angegebenen Adresse unterwegs, und fahren dann runter zum Einkaufszentrum. Von dort rufen sie in der Zentrale an und geben vor, die Adresse nicht finden zu können. Wer will schon für eine Acht-Dollar-Fahrt von einer South-Dallas-Adresse zu einer anderen South-Dallas-Adresse riskieren, ausgeraubt und erschossen zu werden? Ich hab’s ein paarmal gemacht, und hatte nie Probleme, bis ich eines Tages vor einem Haus stehen blieb und beobachtete, wie sich zwei schwarze Männer meinem Wagen aus verschiedenen Richtungen näherten, als hätten sie mich in einen Hinterhalt gelockt. Irgendwas an ihrer Körpersprache erschien mir nicht koscher, deshalb habe ich, gerade in dem Augenblick, als der eine die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, das Gaspedal voll durchgetreten und bin so lange unter Missachtung sämtlicher Stopptafeln von dannen gerast, bis ich zurück auf der I-45 war. Ich werde nie erfahren, ob ich da nicht einfach harmlose, junge Männer auf dem Weg zur Kirche stehengelassen habe. Bei meiner Rückkehr in die Garage an diesem Abend hatte ich mir eine Ermahnung wegen rassistischen Verhaltens erwartet, doch ausgerechnet Denise, unsere schwarze Disponentin, und Charlie White zeigten sich am verständnisvollsten.
Ich wechsle die Richtung, um South Dallas zu umgehen, und schlendere den Trinity River entlang, wo der unaufhörlich dröhnende Straßenverkehr mir die Sinne betäubt. Vor Durst möchte ich am liebsten aus dem Fluss trinken, und vor Hitze gleich ganz hineinspringen, doch bin ich mir sicher, dass eine ganze Latte von Gesetzen derlei verbietet. Das Letzte, was ich an meinem ersten ganzen freien Tag brauchen kann, ist, von Polizisten aus einem Fluss gefischt zu werden oder mir vom Genuss des Flusswassers die Ruhr zu holen. Ich erinnere mich, dass die Houston-Street-Brücke einen Gehsteig hat, und meine Füße brennen und sind geschwollen, als ich endlich in der Stadt ankomme. Ich spaziere in den alten Stadtkern hinein und lasse mich schließlich auf dem berühmten Grashügel nieder. Als ich mich im Gras ausstrecke, kann ich das X erkennen, das sie an der Stelle auf den Boden gemalt haben, wo Kennedy starb. Die üblichen Kennedy-Mord-Freaks treiben sich mit ihren Maßbändern und Videokameras herum. Sie rufen einander ihre Meinungen über die damaligen Geschehnisse zu. Keine Chance, Alter, dieser Schuss war absolut unmöglich. Quatsch, an einem guten Tag schaff’ das sogar ich. Zwei Treffer auf einem bewegten Ziel, von dort drüben? Unmöglich!
So was nennt man offenbar Beweisführung.
Der Name Dealey Plaza ist ganz abgekommen. Manchmal verändern die Ereignisse die Bedeutung der Wörter. Wer möchte an der Dealey Plaza beispielsweise ein Restaurant oder ein Hotel führen? Ja, wir befinden uns hier auf der Elm Street, einen Block von der Houston Street und ein paar hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Hoffnung der Amerikaner starb. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Ich bin durch und durch verschwitzt, die Schuhe sind ruiniert, und meine Füße sind Klumpen aus Blut und Schmerzen. Nach einigen Minuten zwinge ich mich aufzustehen und humple die paar hundert Meter zurück zum Hotel, wo ich auf dem Bett kollabiere. Ein Taxi zu rufen, wäre ohnehin unmöglich gewesen. Ich habe auf dem ganzen Weg keine einzige unzerstörte Telefonzelle gesehen.
Kapitel elf
Ich schlafe nicht gut in diesem Hotel. In meiner zweiten Nacht träume ich von meinem Vater. Er war ein Immigrant aus Wales, ein brillanter Linguist, der sieben oder acht Sprachen beherrschte. Nach dem Krieg kam er als Übersetzer für ein Finanzunternehmen nach Dallas. Er war auch Alkoholiker, und sein Kopf war so voller Sprachen, dass er nach ein paar Drinks nicht mehr wusste, welche er verwenden sollte, um mit den Menschen, mit denen er sich unterhielt, zu kommunizieren. Die meisten seiner Freunde erinnern sich an ihn
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