Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
nickt, wie um ihre Erklärung zu unterstreichen, aber Jonna bezweifelt immer noch, richtig gehört zu haben. Man kann sich doch wohl nicht wegen ein paar Haaren auf den Beinen dermaßen aufregen, oder?
Doch, das Gespräch eine Bank tiefer geht weiter, Alex hat recht, und nach einer Weile stehen die Mädchen auf und huschen raus.
»Das schlimmste Weihnachten überhaupt!«
Alex äfft die beiden nach, und dann können sie sich nicht mehr halten vor Lachen.
Später verlassen sie gemeinsam die Schwimmhalle. Draußen ist es stockdunkel, und sie gehen einen schlecht beleuchteten Hügel hinauf, doch die Dunkelheit hat jetzt nichts Bedrohliches. Es ist auch nicht mehr so kalt. Alex rutscht fast auf einer Eisplatte aus und muss sich an Jonna festhalten, und Jonna erzählt, wie es ihr gelungen ist, sich so gut zu verstecken, dass sie die Nacht im Bus schlafen konnte. Und dass sie fast einen Job hatte, der sich dann aber zerschlagen hat, weil ihr das Handy geklaut worden ist.
»Oje, du Arme …«
Alex bleibt stehen und wühlt in ihrer Tasche. Es ist eine elegante Ledertasche, sie trägt dazu eine dicke Daunenjacke mit Pelzbesatz an der Kapuze. Man sieht ihr an, dass sie eine richtige Stockholmerin ist. Sie sagt, dass sie Jonna et was schenken wird, und klingt dabei sehr zufrieden. Doch dann fi ndet sie es nicht, sie bleibt ein paar Sekunden stehen, und während sie in der Tasche gräbt, entdeckt Jonna, dass einfach alles, was Alex am Leib trägt, nagelneu aussieht. Die hellen Wildlederstiefel an den Füßen, die Jeans und die Handschuhe, die sie ausgezogen hat und jetzt in der einen Hand hält. Weiße Handschuhe im Dezember, wie lange die wohl weiß bleiben?
»Wie alt bist du, Alex?«
»Achtzehn, und du?«
»Bald siebzehn.«
»Also sechzehn …«
Alex schenkt ihr ein schiefes Lächeln, und das Versagergefühl, dass sie gestern in der Galerie empfand, steigt wieder in Jonna auf, diesmal mit einem Hauch von Enttäuschung. In der Sauna mit geliehenen Badeanzügen waren sie auf eine schöne Weise gleichrangig gewesen, das ist jetzt nicht mehr so. Das Mädchen, das da vor ihr steht, sieht aus wie jemand, der entweder einen gut bezahlten Job hat oder verdammt verwöhnt ist. Dieses Gefühl verstärkt sich jetzt noch, als Alex ihr etwas reicht.
»Hier, bitte schön. Das kriegst du von mir.«
Es ist so dunkel, dass Jonna nur das Gewicht und die sanft abgerundeten Ecken in der Hand fühlt, aber das genügt schon, dass sie vor Erstaunen keucht. Sie macht ein paar Schritte zu einer Laterne, um richtig sehen zu können.
»Aber, du kannst mir doch nicht dein Handy geben!«
Sie geht mit dem Telefon in der Hand zu Alex zurück, das Handy sieht total neu aus, es hat ein hellrotes Gehäuse, völlig ohne Kratzer.
»Aber du brauchst doch eines.«
»Ja, aber deswegen kannst du mir doch nicht einfach deines …«
»Aber es ist doch nicht meines, ich habe ein anderes. Nimm es einfach!«
»Und wem gehört es dann?«
»Dir! Ich schenke es dir. Bitte schön.«
Jonna verzieht das Gesicht und gibt das Handy zurück. »Hältst du mich für blöd, oder was?«
Was dieses Mädchen betrifft, hat sie sich offensichtlich getäuscht. Und zwar total. Sie hätte in der Sauna nicht mit ihr reden sollen. Die ist ja verrückt.
»Jetzt nimm es schon zurück!«
»Sei mal nicht so stolz, Jonna, du brauchst es doch.«
Verdammt, es geht hier doch nicht darum, dass sie ein Telefon braucht. Jonna schüttelt wütend den Kopf und protestiert. Das Ding hier ist viel wert, und wenn Alex es nicht selbst braucht, dann kann sie es verkaufen. Sie haben sich schließlich eben erst kennengelernt, und ganz gleich, wie sie selbst daran gekommen ist, Jonna kann doch nicht einfach ein so dermaßen teures Geschenk annehmen.
»Alex, ich will es wirklich nicht haben.«
Tut sie das, um anzugeben oder toll zu wirken? Auf jeden Fall ist es nicht normal. Jonna muss das Handy selbst in Alex’ Ledertasche zurückstecken, denn die weigert sich, es wieder entgegenzunehmen. Sie seufzt demonstrativ, aber das ist Jonna scheißegal. Hier in Stockholm kann man sich offensichtlich nur auf sich selbst verlassen. Jonna schlingt die Arme fest um ihren Leib und geht weg.
Mit schnellen Schritten stapft sie den Hügel hinauf und sieht mit zusammengekniffenen Augen auf die Lichter und den Straßenverkehr. Skanstull heißt das hier, im Morgengrauen ist sie aus dem Bus gestiegen, und da war eine Einkaufsgalerie namens »Ringen« direkt an der Bushaltestelle. Dorthin kann sie jetzt
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