Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
also die Schule abbrechen, das lohnt sich.«
Was? Ist das so? Jonna sieht sie erstaunt an. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
»Und deshalb hab ich das gemacht.«
»Du bist mitten im Schuljahr abgegangen?«
»Hmm…«
Was heißt »Hmm«? Jonna sieht einen Schatten über Alex’ Gesicht fallen. Wollte sie denn nicht abgehen? Jonna hat dasselbe gemacht, und wenn sie ans Ullvi zurückdenkt, dann fühlt es sich nur gut an, von dort weg zu sein. Hat Alex etwa nur deshalb abgebrochen, um die Sozialhilfe zu kriegen? Und ist das nicht komisch, dass man Unterstützung bekommt, wenn man rumhängt und nichts tut, aber keine Hilfe, wenn man die Schule fertig machen will?
Jonna will eben den Mund aufmachen und fragen, als Alex ganz komisch zu zittern anfängt. Sie schlägt die Hände vors Gesicht, und dann sitzt sie einen Moment lang still da, ehe sie weinen kann und die Tränen fließen.
»Ich hab so scheißfett gekämpft, um ins Kulturama zu kommen, und hab mich da wirklich total wohlgefühlt. Aber es war einfach zu schwer, wenn man alleine wohnen und alles allein hinkriegen soll. Essen kochen, die richtigen Trainingsklamotten haben, waschen, lernen, auf die Zeiten achten. Ich bin ständig zu spät gekommen. Und schließlich hab ich aufgegeben.« Sie schnäuzt sich in den Jackenärmel und schluchzt: »Alle, die ich kenne, die von zu Hause abgehauen sind, brechen die Schule ab.«
Ehrlich? Jonna sperrt den Mund auf und spürt, wie unbehaglich das Weinen jetzt auch in ihrer Brust aufsteigt. Wenn Alex nun recht hat, wenn es wirklich so schwer ist? Unbeholfen streicht sie Alex über den Rücken, sie will sie trösten und sich selbst auch gleich mit, doch ihr dröhnen die Worte der Buchhändlerin in den Ohren, der Rat, sich erst eine anständige Ausbildung zu verschaffen. Wenn der Zug nun womöglich schon abgefahren ist? Was geschieht dann mit ihr und Alex? Hat sie all das, was sie selbstverständlich für »später« auf dem Plan hatte, durch einen morgendlichen impulsiven Entschluss aufs Spiel gesetzt?
Schweigend greift sie nach Alex’ Flasche, hebt sie an den Mund, zwingt sich zu einem Schluck und reicht Alex die Flasche zurück, die ebenfalls etwas trinkt. Alex schluchzt noch immer, aber die Tränen fließen nicht mehr, und sie sieht aus, als würde sie sich langsam beruhigen.
Jonna schluckt und wagt vorsichtig zu fragen: »Aber was ist mit dem, was Helene gesagt hat? Was können die bei Enter denn tun?«
»Sie können … einem bei verschiedenen Stellen helfen. Sie reden mit den Behörden und den Bullen und so. Die Leute von Enter glauben auch, dass ich, wenn sie mich zu Mamas Sachbearbeiter begleiten, Geld vom Sozialamt kriegen kann, obwohl ich zur Schule gehe.«
Alex verdreht die Augen, nimmt einen weiteren Schluck und schnaubt.
»Aber Helena ist so verdammt naiv! Ich weiß jetzt schon, wie das ausgeht, wir werden nicht mal ein Treffen zustande kriegen.«
Sie verstummt, dreht die Haare zu einem Pferdeschwanz und schüttelt den Kopf. Dann setzt sie sich aufrecht hin und lächelt triumphierend.
»Aber ich werde es schon schaffen. Verdammt, wie ich es ihnen zeigen werde!«
Jonna nickt, und Alex fragt wieder, ob sie morgen mit zum Vortanzen geht, und Jonna nickt noch heftiger. Wow, Alex ist so tierisch cool! Obwohl es keiner geglaubt hätte, hat sie einen richtigen Tanzjob an der Angel, und jetzt will sie, dass Jonna mitkommt und zusieht.
»Die können mich mal«, schnaubt Alex.
Na, klar! Jonna bricht in ein erleichtertes Lachen aus. Mein Gott, warum sollte man sich schinden oder auf dem Sozialamt kriechen und betteln, damit man die Schule fertig machen kann, wenn man doch einen richtig Job haben kann? Schule ist schließlich die Vorbereitung auf einen Job, und wenn man sich den selbst organisiert hat, dann hat man ja wohl ausgelernt, oder?
Alex nickt zufrieden, als Jonna aufhört zu lachen und sagt, dass sie gern mitgeht.
»Das ist auf der Kungsgatan, morgen um vier Uhr nachmittags.«
Wunderbar. Was für eine schöne Wendung dieses Gespräch genommen hat. Und, mein Gott, die Frau in der Buchhandlung hat wirklich keine Ahnung von Jonnas Leben, sie wird es auch schaffen, es müssen ja nicht alle Leute denselben Weg gehen. So viele Jahre hat sie es in Kolsva furchtbar gefunden und sich gequält, und jetzt geht sie plötzlich mit einer Freundin auf die Kungsgatan in Stockholm, wo die Freundin ein saucooles, echtes Vortanzen hat.
*
»Seid ihr bescheuert? Das aus dem Bus zu klauen?«
Alex ist wieder weggesackt,
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