Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
und dann ein Tisch mit Stühlen. Vor dem kleinen Fenster hängt das Rollo wie ein Fächer herunter. Sie ziehen sich die Schuhe aus und gehen hinein, Minken stellt Musik an, während die anderen sich am Tisch niederlassen, Plastikbecher austeilen und anfangen, Flaschen zu öffnen.
»Bist du undicht, oder was?«
Alex lacht über die Flecken, die Jonnas nasse Strümpfe auf dem Linoleum hinterlassen. Jonna nickt und steigt vorsichtig über Pizzaschachteln und dreckige Wäsche ins Zimmer. Es riecht feucht und muffig, sie umrundet zwei schwarze Müllsäcke, die scheinbar Pfanddosen enthalten, und sieht sich neugierig um. So wohnen die also. Wo soll sie sich hinsetzen? Die Jungen haben sich auf den drei Stühlen niedergelassen, die um den Tisch stehen. Sie macht ihre Schul-
tasche auf und holt die Flaschen heraus, die sie darin hatte.
»Du kannst gerne auf meinem Schoß sitzen.«
Das Angebot kommt von Victor, einem der Jungen, aber Jonna schüttelt den Kopf. Nein, danke.
»Ich kann noch Stühle aus meinem Zimmer holen.«
Der andere, Robin, steht auf und geht hinaus. Er lässt die Tür offen und steckt einen Schlüssel in das Schloss der Tür gegenüber. Auf dem Weg durch den Flur sind sie an ungefähr zwanzig solcher Türen vorbeigekommen.
»Wie viele Leute wohnen hier? Ist es schwer, so ein Zimmer zu kriegen?«
Alex schüttelt den Kopf über die Begeisterung in Jonnas Blick. Sie erklärt, dass das Haus früher das Schwesternheim des Maria-Krankenhauses war, jetzt aber einer Stiftung gehört, die Zimmer an ehemalige Obdachlose und an junge Leute vermittelt, die sonst keine Chance auf dem Wohnungsmarkt haben. Allerdings muss man zum einen volljährig sein, zweitens ein festes Einkommen oder einen Vollzeitjob haben und drittens einen Bürgen vorweisen.
»Du machst dir zu viel Hoffnung, Jonna. Vergiss es.«
»Aber wieso denn?«
Jonna nimmt einen Schluck aus der Flasche und tut so, als würde sie das ganz nebenbei fragen, aber Alex durchschaut sie und wirft ihr einen ernsten Blick zu.
»Weil man dann immer enttäuscht wird.«
Dann ist Party. Minken und Alex nennen es feierlich »Weihnachtsfest« und laden großzügig zum Alkohol ein. Robin kommt mit den Stühlen, und Jonna füllt ihren Plastikbecher, und dann ist sie eine von ihnen und sitzt mit ihnen um den Tisch. Sie ist stolz. Immerhin war sie bei dem Schnapsklau dabei, ohne ihren Einsatz würde es heute Abend kein Fest geben. Dort unter der Brücke war es eklig, aber jetzt, mit dem Ergebnis in der Hand, ist sie verdammt zufrieden.
»Hello…?«
Nach einer Weile geht die Tür auf, und es kommen noch zwei, die gern mitfeiern wollen. Ein Junge und ein Mädchen. Alex flüstert Jonna zu, die beiden seien aus Slowenien und könnten es riechen, wenn es irgendwo Schnaps gäbe, aber Minken ruft laut »Welcome!« über die Musik hinweg und winkt die beiden herein.
»Und in jedem Zimmer darf nur eine Person wohnen?«
»Ja, obwohl das natürlich nicht funktioniert, da gibt es zu viele in Stockholm, die keine Unterkunft haben. Hier geht es manchmal ganz schön rund.«
Jonna nickt. Das klingt vielversprechend. Jetzt ist sie so müde, sie will einfach nicht wieder rausgehen und einen Nachtbus suchen müssen. Eine ganze Weile sitzt sie einfach am Tisch und beobachtet die anderen. Sie kaut auf dem Rand ihres Plastikbechers herum und sieht zu Robin, dessen Mütze ihm auf dem Kopf festgewachsen zu sein scheint. Und zu Victor, der eine dicke Silberkette um den Hals trägt, und zu Alex, die sich gerade ihren Plastikbecher zum hundertsten Mal füllt.
Verdammt gut war das, dass sie abgehauen ist. Jetzt ist sie ein Teil dieser kleinen Gruppe. Jonna Öberg aus dem hässlichen, kleinen Kolsva. Das Leben ist größer, besser und aufregender geworden, als sie je gedacht hätte.
»Du, Jonna, warst du schon in den Grotten bei Second Life?«
Minken hat sich über den Tisch gelehnt und reißt sie aus ihren Gedanken.
Was? Wovon redet er? Sie sieht fragend auf und schüttelt den Kopf, aber das stört ihn nicht, er spricht einfach weiter. Nach einer Weile kapiert sie, dass es um ein Computerspiel geht und dass Minken einer von der Sorte ist, die bei dem Thema nicht aufhören kann zu reden. Er meint, die Grotten würden an den Betonraum in der U-Bahn am Mariatorget erinnern und deshalb sei der Ort auch so cool.
»Nein, das ist noch eher wie in Fallout.«
Victor protestiert und legt eine Hand auf Jonnas Knie, und sie ist froh, dass er das Gespräch an sich reißt, wenn sie auch seine
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