Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Geste stört. Sie sagt nichts, windet sich nur, und nach einer Weile verschwindet die Hand. Minken, Robin und Victor schrauben sich in ein Gespräch über verschiedene Computerspiele hinein, diskutieren Grafik, Strategien, Netzwerke, Halo, LAN, virutelle Identitäten, New Vegas und Xbox, und keiner fragt Jonna noch irgendetwas.
Aber das macht nichts, sie hört zu und versucht mitzukommen, und manchmal bekommt sie von Victor einen flirtenden Blick zugeworfen, der sie beschämt. Aber sie fühlt sich auch geschmeichelt, das hier ist ungewohnt, aber es macht Spaß. Sie schlürft Schnaps und findet, dass es ein sehr schönes Fest ist.
Bis sie merkt, dass Alex verschwunden ist.
»Alex?«
Wie konnte ihr das nur entgehen? Sie geht in den Flur hinaus und schaut in die Küchenecke, obwohl sich da wirklich unmöglich jemand verstecken kann. Die Küche ist nicht einmal ein Raum, sondern nur ein Schrank an der Wand, und als sie ihn öffnet, sind darin nur eine Kochplatte mit einem Stapel Werbeprospekten und einem Haufen Brillengestellen darauf. Darüber hängt ein Schränkchen, daneben ist ein Ausguss, in dem es blubbert, und unter der Kochplatte steht ein Kühlschrank in der Art, wie man sie in Wohnwagen hat.
Alex ist auch nicht in dem kleinen, türkisfarbenen Badezimmer. Verwirrt geht Jonna wieder ins Zimmer zurück. Ob sie woanders hingegangen ist? Aber wohin denn, schließlich wohnt sie hier, und es ist mitten in der Nacht. Das Paar aus Slowenien verabschiedet sich, und als sie Jonnas erstaunte Miene sehen, zeigen sie amüsiert unter den Tisch.
Und da sitzt Alex. Allein, mit geschlossenen Augen, den Kopf in einem seltsamen Winkel an die Heizung gelehnt und mit einer Flasche auf dem Schoß. Es ist so mies von Jonna, dass sie nicht einmal gemerkt hat, dass Alex verschwunden ist. Was ist sie bloß für eine Freundin?
»Schläfst du?«
Sie beugt sich zwischen den Beinen der Jungs hindurch nach unten und nimmt sanft Alex’ Hand. Murmelt »Entschuldigung« und »Warum sitzt du denn hier?«, bis Alex plötzlich ein Auge aufmacht.
»Kannst du nicht morgen mit zu einem Vortanzen kommen?«, murmelt sie.
Sie schlägt auch das andere Auge auf und scheint überhaupt nicht sauer oder enttäuscht zu sein.
Was für ein Vortanzen? Und wo? Für diesen Tanzjob, über den Alex nicht reden wollte? Jonna fragt vorsichtig, und Alex hustet und streckt sich ein wenig.
»Ach, das war doch nur, weil ich gestern so sauer war.« Sie hustet wieder, nimmt einen Schluck aus der Flasche und fährt fort: »Und wenn man … betrunken ist, kann man ja über alles reden.«
Aber was ist denn passiert? Schnell krabbelt Jonna unter den Tisch und setzt sich neben sie. Und Alex nickt ihr zu, sieht schweigend auf ihre Hände und holt dann tief Luft.
»Helena und die anderen bei Enter glauben ja, dass man alles hinkriegt.«
»Zum Beispiel?«
Schweigen. Langes Schweigen.
»So was wie die Sachen mit dem Sozialamt klarmachen. Mit der Alten und ihren Sachbearbeitern reden.«
Alex verzieht das Gesicht und schließt die Augen so lange, dass Jonna schon meint, sie sei eingeschlafen. Aber dann redet sie mit geschlossenen Augen weiter: »Die glauben, ich könnte es schaffen und wieder beim Kulturama anfangen. Wenn man nur ›die richtigen Strippen ziehen‹ würde.«
»Kulturama?«
»Mein Gymnasium.«
Aha. Aber Jonna will noch mehr fragen, wie ist das zu verstehen, was hat das alles mit dem Sozialamt zu tun? Alex seufzt und fängt an zu erklären: Wenn man zur Schule geht, kriegt man Geld vom Staat, geht man nicht zur Schule, dann kriegt man, falls man volljährig ist und bedürftig, Geld vom Sozialamt. Wenn man jedoch aufs Gymnasium geht, dann kriegt man dieses Geld vom Staat ausgezahlt, ungefähr einen
Tausender im Monat, aber das reicht ja nicht für Essen und Miete.
»Und was ist mit all denen, die in Studentenzimmern wohnen?«
»Das geht erst nach dem Abi. Wenn man den Abschluss in der Tasche hat, dann kann man einen Kredit aufnehmen und sich selbst versorgen. Aber vor dem Abi glauben die vom Amt, dass man ja zu Hause wohnt und da ver sorgt wird. Und wenn das nicht so ist, dann ist es verdammt schwer klarzukommen.«
Alex zieht wieder eine Grimasse und redet weiter: »Wenn man aus irgendeinem Grund nicht zu Hause wohnt, aber trotzdem Abitur machen will, dann gibt es niemanden, der einem hilft.«
»Was ist mit dem Sozialamt?
»Das hab ich doch eben gesagt, von denen kommt nur was, wenn man nicht zur Schule geht. Wenn man volljährig ist, sollte man
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