Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Schokomuffins – jetzt wird sie ihren Erfolg erst einmal mit einer wohlverdienten Kaffeepause feiern.
»Bitte schön.«
Wahnsinn, sie wiegt die Papiertüte, die ihr über den Tresen geschoben wurde, in der Hand. Dass Muffins im Ritz in Kolsva überhaupt diesen Namen verdient haben! Wo das doch nur kleine, trockene Häufchen sind, die nach Papier schmecken, und hier sind die Muffins Riesendinger, schwer von Schokolade und mit Marshmallows und Cashewnüssen darin. Und den Kaffee kriegt man in einem Pappbecher, ohne auch nur darum bitten zu müssen.
»Achtundsiebzig Kronen.«
Oje. Verdammt teuer, aber Jonna schielt auf den Plastikdeckel und nimmt einen ersten kleinen Schluck, während sie den einen ihrer Hunderter hinhält. Aber auch verdammt gut. Den Deckel lässt sie auf dem Tresen liegen, und nachdem sie ihr Wechselgeld bekommen hat, geht sie zu einer türkisfarbenen Bank vor einer der zahlreichen Spiegelwände der Galerie.
Eine Tanzcombo-Version von »Ich träume von Weihnachten zu Haus« dröhnt über das Stimmengewirr hinweg aus unsichtbaren Lautsprechern, und Jonna verzieht das Gesicht bei dem Text, während sie die Tüte mit den Muffins öffnet. Wer träumt schon von Weihnachten zu Hause, also sie jedenfalls nicht. Nicht jetzt, nicht mehr, dieser Traum zerplatzte mit einem Knall heute Morgen am Frühstückstisch, und das war nur gut so.
Verfluchte Mama, der alles egal ist!
Und Großmutter, die ganz genau wusste, was Jonna und Mama für Weihnachten dieses Jahr ausgemacht hatten, und die trotzdem nicht protestiert hat. Großmutter, die von Rücksichtnahme und Zusammenarbeit und Geduld labert, aber immer nur an ihr Enkelkind gerichtet, nie an ihr Kind.
Wenn Oma ein einziges Mal, nur heute, Jonnas Partei ergriffen und sie gegen Mama verteidigt hätte, dann wäre das eine ganz andere Sache gewesen. Aber nein, sie war auch noch Mamas Meinung und ermunterte sie, hörte sich alle Pläne an und ließ Mama damit davonkommen. Das war doch nichts anderes als ein erneuter Betrug in einer schon sehr langen Reihe.
Jonna beißt wütend von dem Muffin ab, nimmt große Schlucke Kaffee und flucht. Ja, verdammt, es war höchste Zeit, dass dieser Traum mal zerplatzte. So kann man doch nicht leben. In ihr ist irgendetwas gestorben und etwas Neues geboren worden, und ihr Körper hatte geradezu auf diesen Moment gewartet. Sie fuhr vom Frühstückstisch hoch, raus in den Flur, riss die Jacke vom Haken, griff sich Schuhe und Tasche und rannte Hals über Kopf aus der Wohnung. Warf den Schlüssel in den Briefkasten, brüllte »Tschüss!« und zog sich die Schuhe auf der Treppe an. Sie lief mit einem ganz neuen Feuer in der Brust, und sie hatte keinen Zweifel, keine Angst, nichts dergleichen – denn alles, alles, alles würde besser sein, als mit diesen beiden zusammenzubleiben.
Und jetzt: Ein einfaches Weihnachtslied reichte schon, um sie daran zu erinnern.
Aber wo ist bloß ihr Handy?
Sie hält mitten im Kauen inne, wischt die Finger an der Jeans ab und fängt an, gründlich nach dem Telefon zu suchen. Erst in den Taschen und Fächern der Schultasche, dann in den Jeanstaschen, obwohl sie ja spürt, dass es da nicht ist. Dann in der Jacke, der Kapuzenjacke darunter und noch einmal in allen Ecken der Tasche. Sie seufzt tief. Danach sucht sie systematisch ein drittes Mal, leert die gesamte Tasche aus und schüttelt sie.
Kann sie das Handy irgendwo vergessen haben? Aber wo?
Sie hatte es nicht einmal rausgenommen. Kann sie es dann fallen gelassen haben? Ach, das hätte sie doch gehört! Wahrscheinlich ist es ihr geklaut worden. Mist.
Sie sitzt auf einer türkisfarbenen Bank in der schicken Galerie und aller Triumph und alle Entschlossenheit sind wie weggeblasen. Wie dumm! Wie konnte sie nicht bemerken, dass jemand ihr das Handy klaut? Was für ein Landei sie doch ist.
Erst jetzt sieht sie, wie schick und cool alle hier sind. Die Stockholmer mit den klappernden, filmstarhohen Absätzen, den gepflegten Frisuren und der perfekten Grundierung im Gesicht. Nicht einmal die Teenager sehen aus wie die Mädchen zu Hause. Glänzend gekämmte lange Haare und Daunenjacken mit Pelzkragen, hier sind alle so schön wie die Lucia-Königin vom Ullvi.
Was sie wohl von Jonna denken, wenn sie vorbeigehen?
Plötzlich wird ihr peinlich bewusst, wie sie hier auf der Bank sitzt und, von dem ganzen Kram aus ihrer Schultasche umgeben, auf das Menschengewimmel starrt. Alte Taschentücher und Lipgloss, ein verfilzter kleiner Troll, den man auf einen
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