Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
wirklich schlecht, seufzt und lässt mehrmals den Spiegel fallen – es ist gut möglich, dass sie vor diesem Ausflug getrunken hat.
Die Bahn fährt jetzt zwischen hohen Häusern über eine Brücke, vor den Häusern liegen ein Wald und ein großes Feld, und Jonna sieht eine Frau und ein paar Kinder, die ihre Hunde dort ausführen. Sie rennen und jagen einander, spielen und wälzen sich in dem weichen Weiß, und das sieht wirklich sehr fröhlich aus.
Neun, elf, vierzehn, neunzehn Laternenpfähle, dann halten sie an einem weiteren Bahnhof. Wieder ein Wohngebiet, und Jonna sieht durch ein Fenster einen Fernseher, der in einem Wohnzimmer mit roten Gardinen steht. Auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen Menschen versammelt, und draußen auf der Auffahrt stehen zwei hohe Schneelampen. Die Kinderstunde mit Donald Duck ist schon vorbei, aber vielleicht kucken die Leute Karl-Bertil Jonassons Weihnachtsabend .
»Wie sehe ich aus?«
Alex malt sich die Lippen dunkelrot, schmatzt auffordernd, und Jonna sieht auf und nickt. Ja, sie sieht hübsch aus. Sie hat feine ebenmäßige Gesichtszüge, große braune Augen und glänzend schwarzes Haar, niemand würde etwas anderes sagen, als dass Alex gut aussieht. Und ihr Äußeres ist durch das Make-up ohne Frage noch verbessert worden, aber sie sieht nicht frisch aus. Wirklich nicht. Unter den rotgeäderten Augen hat sie dunkle Schatten, und auf der Wange sind noch immer Reste vom Mascara. Die Haare, das sieht man, wenn man genauer hinschaut, sind fettig – die ganze Person sieht mitgenommen und gleichzeitig so klein und elend aus.
»Du siehst sehr gut aus, Alex.«
Jonna lächelt sie an und schaut dann wieder aus dem Fenster. Eine große Gesellschaft sitzt um einen gedeckten Tisch. Sie sieht einen Mann und einen Jungen, die einen Tannenbaum hereintragen, und eine kleine, gelbe Sauna mit Schnee auf dem Dach und beschlagenen Fensterscheiben. In der Sauna sitzen wohl Leute, vielleicht werden sie bald herauskommen und sich im Schnee wälzen.
»Kuck mal, was ich aufgespart habe. Die ist für Mama zu Weihnachten.«
Alex wühlt in der Ledertasche und zieht eine ihrer gestohlenen Schnapsflaschen heraus. Jonna nickt, die darf sie gern weggeben, wenn sie möchte. Dass Alex sie mit nach Farsta nimmt, bestätigt eigentlich, was Jonna schon vermutet hatte, nämlich dass Alex auch Angst hat.
»Das ist die letzte Flasche.«
Sie hat Angst, ist aber immer noch nicht bereit, sich von dem Alkohol zu trennen. Jetzt schiebt sie die Flasche wieder in die Tasche, schafft es aber nicht, sie dort zu lassen. Wieder und wieder holt sie sie heraus und knibbelt am Etikett.
Dann kommen Schilder, auf denen »Farsta Zentrum« steht.
Alex sammelt die Schminke und all ihre Sachen ein, und sie beeilen sich, aus dem Zug auszusteigen. Auf dem Bahnsteig angekommen, sieht Jonna sich enttäuscht um. Hier draußen gibt es keine Holzvillen und auch keinen Wald mehr, hier sieht man in alle Richtungen nur Betonkomplexe und düstre Hochhäuser.
Sie verlassen die U-Bahn-Station, gehen um ein geschlossenes Einkaufszentrum und ein Parkhaus herum und überqueren dann, sich gegen den Wind stemmend, einen zugigen Platz. Danach gelangen sie an einen schmalen Gehweg, der zwischen hohen Häusern hindurchführt und bloß stellenweise beleuchtet ist. Unterwegs begegnen ihnen nur ein paar Jungs mit Kampfhunden, deren Gebell zwischen den Hochhausfassaden widerhallt.
»Kann man sich trauen, hier durchzugehen.«
Jonna zögert und sieht sich um, doch Alex lacht bloß.
»Das ist Mamas Straße. Hier ist es total ruhig.«
Sie zeigt auf einen Spielplatz, wo sie gespielt hat, als sie in den Kindergarten ging. Daneben steht eine kleine Schule, ein von einem Drahtzaun umgebener Bungalow.
»Da bin ich von der Ersten bis zur Fünften hingegangen.«
Jonna findet, dass die Schule zwischen all den Hochhäusern gar keine Chance hat und mickrig aussieht. Sie schaut stattdessen nach oben zu den Laubengängen und den Balkons mit Satellitenschüsseln und Kühlschränken, auf die Spitzengardinen und das flimmernde Licht von Fernsehapparaten.
»Wo wir grade von Schulen reden, du darfst nicht sagen, dass ich das Kulturama abgebrochen habe.«
»Warum nicht?«
»Versprich es mir, Jonna. Das ist total wichtig für die, dass sie glauben, ich würde noch immer da hingehen.«
»Wirst du denn den Job im Club annehmen?«
»Wenn du das nicht versprichst, dann darfst du nicht mitkommen!«
Okay, okay. Jonna sieht Alex an und nickt. Sie wird die Lüge ihrer
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