Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
mit einem Hundewelpen. Jonna spürt, wie sie sich entspannt und auch mit in das Spiel gezogen wird. Sie fragt interessiert nach den Namen der verschiedenen Kuscheltiere und nach ihrer Geschichte, sie reckt sich und nimmt sie selbst herunter und lacht, wenn Elina ihre Stimme verstellt und Witze macht.
Abgesehen von einem leichten Rauschen in den Rohren ist es hier drinnen ganz still. Und zwei dicke Metalltüren trennen sie von der Außenwelt, und zu einer davon hat außerdem nur Elina einen Schlüssel. Still und sicher, eine fröhliche kleine Schwester und dazu hundert freundliche Augenpaare, die über einen wachen, wenn man schläft. Kann man es besser haben?
*
Ich bin nämlich NICHT VOLLKOMMEN begriffsstutzig, was Wärme und Menschlichkeit angeht.
Und in jedem Fall ist es dumm, das zu glauben.
Doch bald drängt sich die Wirklichkeit wieder in ihr Leben.
Sie verlassen den Raum mit dem Müllschlucker, zwängen sich an einem Mann mit Golfkappe vorbei, der dasteht und Eis von der Straße hackt, und Elina fragt Jonna, wohin sie jetzt gehen wird. Doch dann zeigt sie eifrig auf den nächsten Hauseingang.
»Hier oben wohnen wir. Hugo und ich fahren heute zu Oma und Opa!« Sie lacht ihr perlendes Lachen und sieht wieder aus wie ein Kind. »Es ist ja Heiligabend!«
Dann tritt sie ein paar Schritte zurück und zeigt auf ein Fenster ohne Gardinen ein paar Etagen weiter oben im Haus. Dort steht ein Clown aus der GB-Eiswerbung an die Scheibe gelehnt.
»Das ist Papas Zimmer, aber er ist so gut wie nie zu Hause, deshalb ist es jetzt meins.«
Sie lacht wieder. und Jonna lacht auch, denn es sieht lustig aus, wenn man an der Hausfassade hochschaut. Alle Nachbarfenster haben Gardinen und sind in den sanften Schein von Weihnachtssternen und Schwibbögen getaucht, und mittendrin – eine nackte Glühbirne an der Decke und ein großer bunter Clown.
»Arbeitet dein Vater bei GB?«
»Nein, nein, in Norwegen. Auf einer Bohrinsel.«
»Aber warum schläfst du dann nicht in der Wohnung?«
Jonna versucht, so sanft wie möglich zu fragen, aber sie bereut es sofort, als sie den Schatten sieht, der über Elinas Gesicht fährt. Und eine Antwort erhält sie auch nicht, Elina schüttelt nur den Kopf und wiederholt, dass Hugo und sie zu Oma und Opa fahren werden.
»Die haben sich um uns gekümmert, als Mama gestorben ist, und die haben uns total lieb.«
Jonna nickt und wünscht, Elina würde mehr erzählen, nicht etwa, weil sie große Lust auf Weihnachtspläne mit Brüdern und Verwandten hätte, sondern weil sie sich noch nicht von Elina trennen will. Ach, wenn sie doch nur einen Bruder hätte! Oder eine Oma und einen Opa oder einfach nur irgendjemanden, der sie lieb hat, und sich heute, am Weihnachtsabend, noch ein bisschen mehr als sonst auf sie freut. Sie hat keine Ahnung, was sie selbst machen wird. Sie weiß nicht, wohin sie gehen soll und was sie an einem Tag wie diesem tun möchte oder überhaupt tun kann.
Alles wird geschlossen sein, alle werden mit ihren Familien zusammen sein, alle werden es gemütlich haben und sie gehört nicht dazu.
Sie schielt auf die Aushänger vor dem Kiosk. Eigentlich will sie gar nicht mehr wissen, was da jetzt draufsteht, es ist ihr egal, aber dennoch wird ihr Blick wie von einem Magneten dorthingezogen, und sie liest. Wie dumm sie doch ist. Sie liest nur, um sich selbst zu quälen, um Salz in die Wunde zu reiben, um es noch einmal reingedrückt zu kriegen: Fernsehen, Weihnachtsessen, VIPs und Reisen. Kein Wort über eine verschwundene Sechzehnjährige.
»Also, wir sehen uns.«
»Danke, dass ich bei dir schlafen durfte. Frohe Weihnachten.«
Jonna umarmt Elina rasch und sieht ihr nach, als die im Hauseingang verschwindet.
Dann sitzt sie lange auf einer eiskalten Bank und sieht zu, wie die Straßen immer leerer werden. Pelzbekleidete parfümierte Menschen mit großen Einkaufstüten eilen in die verschiedenen Hauseingänge. Die Weihnachtsbaumverkäufer verkaufen ihre letzten Bäume und packen Holzböcke und Plastikplanen zusammen. Der Kiosk schließt und schaltet die Beleuchtung bei den Aushängern aus, selbst der Straßenverkehr wird immer spärlicher.
Zitternd und hungrig sitzt Jonna da, schnieft und kaut auf den Nägeln. Da fährt sie plötzlich zusammen.
Der Bus!
Da steht doch tatsächlich ein dunkelgrüner Bus mit einem aufgemalten Strich und einer weißen Tür auf der anderen Straßenseite. Ist das möglich?
Sie steht von der Bank auf, doch es ist schwer zu erkennen, ob die
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