Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Windschutzscheibe ganz oder zerschlagen ist, also, ob es wirklich genau dieser Bus ist. Sie weiß es nicht, plötzlich klebt ihr die Zunge am Gaumen, ihre Knie zittern, und in ihrem Kopf geht alles durcheinander. Sie reibt sich die Nase, fährt sich mit den Händen übers Gesicht und hat keine Ahnung, was sie jetzt tun soll. Soll sie Alex anrufen und es ihr erzählen?
Nein, sie hat keine Lust, Alex anzurufen, sie sind wegen gestern immer noch sauer aufeinander. Soll sie sich dann lieber verstecken, falls die hinter ihr her sind? Ob der Bus deshalb ausgerechnet hier steht? Gut, aber dann sollte sie erst einmal herauskriegen, ob es wirklich jener Bus ist.
Sie macht einen Umweg, überquert die Straße und schleicht dicht an der Hauswand entlang. Wie lange steht der wohl schon hier? Ob man sie gesehen hat? Zumindest sitzt niemand darin. Aber zum Teufel, verdammt, ein Seitenfenster des Busses ist tatsächlich geklebt worden, die Windschutzscheibe hat einen Sprung, und im Bus liegt eine fleckige Matratze, die Jonna nur zu bekannt vorkommt.
»Hallo, hier ist Jonna.«
Sie ist um die Ecke geschlichen und vor einer Wand in die Hocke gegangen, vor lauter Angst fängt sie an zu stottern, als Alex sich meldet, aber sie muss es ihr erzählen. Sie war schließlich bei der Sache dabei, und da ist es ihre Pflicht, die anderen zu warnen, auch wenn Alex und sie sich gerade gestritten haben.
»Oje.« Alex wird erst einmal ganz still. Dann sagt sie: »Das werde ich auf keinen Fall Minken erzählen.«
»Warum nicht? Er muss es doch auch wissen.«
»Ja, aber er hat sich endlich beruhigt, und jetzt will er zu seiner Schwester nach Sollentuna fahren, um dort Weihnachten zu feiern. Die hat gerade ein Kind gekriegt, und seine Eltern sind auch auf dem Weg von Gotland da hin. Wenn ich ihm das jetzt erzähle, dann geht er nicht vor die Tür.«
»Aber das ist vielleicht ja ganz vernünftig, denk doch nur …«
»Ach was. Aber du, mach einen Umweg, wenn du weggehst, damit dich niemand sieht.«
Ja, klar. Okay. Jonna nickt und beißt ihren Nagel ab, so dass der Finger anfängt zu bluten. Sie hört den Zweifel in Alex’ Stimme, und dass sie gar nicht mehr so ruhig und sicher ist wie gestern. Jonna saugt an ihrem Nagelbett, schließt verlegen die Augen und fragt dann ganz leise: »Alex, was machst du jetzt? Können wir heute nicht irgendwas zusammen machen?«
14
Eine knappe Stunde später sitzt Jonna total gerührt Alex gegenüber in der U-Bahn nach Farsta. Sie werden bei Alex’ Mutter Weihnachten feiern, und es ist so wahnsinnig nett, dass Jonna mitkommen darf. Ganz offenkundig ist Alex ziemlich nervös angesichts des Familientreffens, aber sie hat sich trotzdem erbarmt und Jonna mitgenommen.
»Wir sehen uns eigentlich nur einmal im Jahr.«
»Aber ihr wohnt jetzt alle in der Stadt?«
Alex nickt. Sie hat eine große Kosmetiktasche mitgenommen, die sie jetzt offen auf dem Schoß liegen hat. Mit zittrigen Händen bürstet sie sich die Wimpern und sieht dabei unzufrieden in einen kleinen Taschenspiegel, den sie in der anderen Hand hält.
»Sind deine Geschwister älter oder jünger als du?«
»Viel älter. Ich bin Mamas kleiner Nachkömmling.«
Die U-Bahn fährt am Globen vorbei, dann an einem großen Friedhof, und Jonna sieht kleine Lichtlein vorüberflattern. Nur weil Weihnachten ist, kümmern sich die Leute sogar um ihre toten Familienmitglieder.
Dann kommen sie in eine Gegend mit großen Holzvillen aus der Jahrhundertwende, es raucht aus den Schornsteinen, riecht nach Holzfeuer, und in den Gärten hängen noch rote Äpfel in den Bäumen. Überall brennen Lichter. Auf
einer Terrasse steht eine Gruppe Menschen, die Punschgläser zum Anstoßen erhoben haben, während die Kinder in den Schneewehen im Garten spielen. Im Moment schneit es nicht, aber überall ist es winterlich weiß.
»Was werden die dazu sagen, dass ich einfach mitgekommen bin?«
»Ach, gar nix, kein Problem.«
Alex löst ihr Haar, und ein Hauch von ihr weht zu Jonna hinüber. Wonach riecht sie eigentlich? Jonna saugt den Geruch ein, und er kommt ihr bekannt und vertraut vor, und plötzlich wird ihr klar, dass Alex nach Alkohol riecht. Manchmal ist es nur ein Hauch, manchmal eine starke Fahne, aber sie riecht immer danach. Diese Erkenntnis ist Jonna so unangenehm, dass sie vor Scham rot wird, und sie schielt zu Alex hin, die angefangen hat, sich mit etwas Spucke die Wimperntusche von den Wangenknochen zu reiben. Im Waggon wackelt es natürlich, aber sie zielt auch
Weitere Kostenlose Bücher