Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
überhaupt nicht schwer, die richtige Tür zu finden, obwohl sie Elinas Nachnamen gar nicht kennen. Es gibt nur eine Tür, an der weder ein Weihnachtskranz noch ein Wandbehang hängt, und vor der stattdessen eine stinkende Mülltüte steht. Das muss die Wohnung mit dem GB-Clown sein.
Die Klingel ist kaputt, also klopft Alex, aber Jonna hält es einfach nicht aus zu warten, sie ruckt am Knauf und stellt fest, dass die Tür nicht verschlossen ist. Ohne zu zögern tritt sie über die Schwelle und steht im Flur einer dunklen, fremden Wohnung. Alex sieht besorgt aus, aber Jonna bedeutet ihr mitzukommen, sie müssen Elina jetzt einfach finden, das ist das Einzige, worauf es jetzt ankommt.
Schweigend arbeitet sie sich in die Dunkelheit hinein. Bemerkt vage, dass hinter einer geschlossenen Badezimmertür Wassergeräusche herausdringen, stolpert über Dinge auf dem Boden und bekommt endlich ein helfendes Licht vom Fenster mit dem GB-Clown, der sich als Silhouette gegen das Licht der Straßenlaterne von unten abzeichnet. Nun kann sie sich umsehen. Die Wohnung ist klein, wirkt aber trotzdem kalt, eine kaum ausgestattete Küche und ein Zimmer mit zwei Schlafsofas, von denen eines ordentlich eingeklappt ist und eines nicht, dazu ein Bett in einer Schlafnische voller Kuscheltiere und Spielsachen. Aber keine Elina.
»Horch mal …«, flüstert Alex, und Jonna dreht sich um und sieht, dass sie an der Badezimmertür steht. Natürlich, Elina liegt in der Badewanne, ein schwaches Plätschern ist zu hören. Jonna geht mit eiligen Schritten zu Alex und klopft fest und auffordernd an die Tür.
Da wird es mucksmäuschenstill. Schlagartig fließt kein Wasser mehr dort drinnen, das Plätschern hört auch auf, wahrscheinlich hält jemand auf der anderen Seite der Tür die Luft an.
Alex und Jonna wechseln einen erschrockenen Blick, jetzt packt auch Jonna die Angst. Was nun? Wenn das da drinnen gar nicht Elina ist?
Stille.
Sie müssen es herausfinden. Jonna schluckt, streckt die Hand zur Klinke aus und tastet mit der anderen nach Alex. Sie sehen sich an und zählen: »Eins, zwei, drei.«
»Warte!«
Alex hält sie auf, geht zur Wohnungstür, öffnet sie weit und nickt Jonna dann zu. Jetzt. Wenn Gefahr droht, können sie wegrennen. Jonna erwidert das Nicken, und dann reißen sie die Badezimmertür auf. Sie erblicken zahllose brennende Kerzen und einen dunklen Typen, der mit einem Schrei aus der Badewanne hochfährt, und sie sehen den Rücken eines Mädchens mit langem, blondem Haar, aber mehr nicht.
Keine Elina weit und breit.
18
Im morgendlichen Berufsverkehr sind sie wieder im Tunnel zwischen dem Hauptbahnhof und der U-Bahn-Station T-Centralen.
Alex liegt wie ohnmächtig auf ein paar Zeitungen auf dem Fußboden, aber Jonna kann überhaupt nicht schlafen. Durchsichtig und bleich lehnt sie an der gekachelten Wand und starrt vor sich hin. Sie versucht, all die Menschen wahrzunehmen, die auf dem Weg zu einem neuen Arbeitstag mit Kaffee in Pappbechern und schwarzen Laptoptaschen vorbeikommen. Nicht, dass sie glaubt, Elina würde darunter sein, aber sie hat nicht vor, jetzt schon aufzugeben und aufzuhören, nach ihr zu suchen, sie will kein einziges dieser Gesichter verpassen.
Es wäre so leicht gewesen.
Wenn sie da auf der Fußgängerbrücke einfach nur blitzschnell ihre Hand ausgestreckt und die Plastikkapsel genommen hätte. Natürlich hätte Elina protestiert und wäre wütend gewesen, aber dann hätte Jonna weglaufen können, zum Bahnhof, und dann hätte sie, direkt bevor der Zug gekommen wäre, die Kapsel auf die Gleise geworfen. Und danach Elina mit in den Zug gezerrt.
Die Sache mit Angelika Andersson ist überhaupt kein Vergleich, denn da hatte Jonna wirklich keine Chance.
Sie sieht in jedes Gesicht, das im Durchgang vorbei huscht, alle diese Menschen, die sie nicht kennt und für die sie nichts empfindet, und die Leere, die dadurch in ihr entsteht, diese Leere ist Sehnsucht, ist Trauer, und sie gräbt sich ein Grab im Körper.
*
»Tut mir leid, wenn ich das sage, Jonna, aber du stinkst.«
Na und? Jonna wirft Alex einen müden Blick zu.
»Ne, im Ernst, wann hast du zum letzten Mal geduscht?«
Kann sie nicht einfach in Ruhe gelassen werden? Es war viel besser, als Alex noch dalag und schlief, jetzt ist sie aufgewacht und hat Jonna unter dem Vorwand, dass es da netter wäre, mit sich in die Wartehalle gezerrt. Als ob es in dieser Stadt irgendwo nett wäre.
»Aber sicher. Und ich finde, wir sollten jetzt mal los und
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