Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 2
und Singh waren nun allein mit ihren unheimlichen Feinden.
Noch griffen die Kreaturen nicht an. Aber der Tod des Wärters bewies, dass sie keine Gnade und kein Erbarmen kannten. Sie kamen näher, gaben knurrende Laute von sich. Ihre altertümlichen und teilweise zerschlissenen Kleider bewiesen, dass einige von ihnen schon seit vielen Jahren tot sein mussten. Wie waren diese Bestien unbemerkt in das Museum gelangt?
Kate wusste es nicht, sie konnte nicht mehr klar denken. Am liebsten hätte sie geschrien, aber das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Da legte Singh beruhigend seine Hand auf ihren Unterarm.
„Fürchten Sie sich nicht, Miss Fenton.“
Trotz ihrer eigenen Todesangst war Kate gerührt. Gleichzeitig war sie aber auch entsetzt darüber, dass der alte Mann offenbar den Ernst der Lage verkannte. Glaubte er wirklich, sie vor dieser Vampir-Übermacht schützen zu können? Sie traute Singh noch nicht einmal zu, gegen einen kleinkriminellen Eckensteher aus dem East End bestehen zu können.
Singh hatte noch nicht einmal eine Waffe. Oder verbarg er einen Dolch oder ähnliches unter seinem knielangen kragenlosen Gehrock mit dem fremdartigen Schnitt? Manche Gentlemen verfügten auch über einen Stockdegen, aber Singh besaß auch keinen Gehstock.
Bevor Kate sich weiter den Kopf über ihre aussichtslose Lage zerbrechen konnte, geschah etwas völlig Unerwartetes. Singh stieß einen heiseren Kampfschrei aus, drehte sich einmal um die eigene Achse – und verwandelte sich!
Kate hätte es niemals für möglich gehalten, dass ein ehrwürdiger alter Inder mit Turban und weißem Bart plötzlich zu einem Fuchs werden konnte. Aber nun geschah genau das vor ihren Augen. Kate war ein echtes Stadtkind und hatte Füchse bisher nur auf Abbildungen in Schulbüchern und in der Zeitung gesehen. Einmal war sie auch bei einem Trödler in Soho gewesen, der ein ausgestopftes Exemplar dieser kleinen Raubtiere in seinem Regal stehen hatte.
Singh war nun ein Fuchs, und er stürzte sich kampflustig auf einen Vampir. Kate hatte gelesen, dass die Blutsauger ungeheuer stark und schnell wären. Doch der Inder in Gestalt des Raubtiers war noch fixer und gelenkiger als sein Widersacher. Der Vampir taumelte zurück, schlug mit seiner rechten klauenartigen Hand nach dem Tier. Der Fuchs Singh wich ihm geschickt aus und sprang den Untoten fauchend an. Kate konnte nicht genau sehen, was nun geschah. Aber die Wirkung war verblüffend.
Der Blutsauger wurde zu einer grauen Staubsäule, die im nächsten Moment in sich zusammenfiel. Die Artgenossen des Vampirs sahen nun, was ihnen ebenfalls blühen konnte. Sie wichen zurück, aber von einer Flucht konnte keine Rede sein. Offenbar hatten sie es immer noch auf ihre beiden zukünftigen Opfer abgesehen.
Kate verstand nicht, was Singh getan hatte. Er musste über magische Kräfte verfügen, sonst hätte er sich weder verwandeln noch den Blutsauger vernichten können. Immerhin hatte er Kate keine falschen Versprechungen gemacht. Er beschützte sie, wie er es angekündigt hatte. Aber würde der geheimnisvolle Inder trotz seiner magischen Kräfte gegen die Vampir-Übermacht bestehen können?
Auch die Blutsauger setzten auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Sie versuchten, den magischen Fuchs von Kate zu trennen. Sie hätte ihm gerne geholfen, aber wie? Singh besaß übersinnliche Kräfte, sonst hätte er sich niemals in ein Raubtier verwandeln können. Aber Kate stand mit leeren Händen ihren Widersachern gegenüber.
Die Vampire erkannten jetzt, dass sie gegen Singh keine Chance hatten. Während der Fuchs Singh einen weiteren Blutsauger in eine Staubsäule verwandelte, stürzten sich gleich zwei der Nachtgeschöpfe auf Kate. Es war furchtbar, die Berührung durch ihre eiskalten Klauen zu spüren. Sie war wie erstarrt. Eine der Bestien riss schon ihr Maul auf. Ihre Fangzähne waren entsetzlich lang und spitz.
Kate hatte keine Chance mehr. Selbst, wenn Singh sich jetzt sofort umdrehte und sie verteidigte – einer der beiden Vampire würde auf jeden Fall Kates Halsschlagader aufreißen. Sie war in ihrem jungen Leben schon öfter in bedrohlichen Situationen gewesen, aber in diesem Moment war sie mit ihrem Latein am Ende.
Sie blickte dem Tod ins Auge. Und das Schlimmste daran war, dass sie unwissend sterben würde. Kate war ungewollt in ein großes Geheimnis und eine unglaubliche Geschichte verwickelt worden, daran gab es keinen Zweifel. Aber sie würde ihr Leben aushauchen, ohne dieses Rätsel gelöst
Weitere Kostenlose Bücher