Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 4
vermutlich trauten die Gentlemen in der Regierung einer Lady nicht zu, mit solchen abscheulichen Gegenständen hantieren zu wollen.
Und eine Schusswaffe führte Kate nach wie vor nicht bei sich. Nur auf ihren gewohnten Schlagring wollte sie nicht verzichten. Sie trug ihn für ihre Umwelt unsichtbar unter dem rechten Handschuh.
Kate schlenderte auf das Flugfeld für das Abend-Luftschiff nach Paris zu, als sie eine wohlbekannte Gestalt erblickte.
„Miss Fenton! Welch eine Freude, Sie wiederzusehen!“
Mit diesen Worten kam der exzentrische Erfinder Phineas Fletcher auf Kate zu. Er war ein magerer blasser Schnurrbartträger mit einer langen rötlichen Nase, auf der er genau wie Inspektor Williams einen Zwicker trug. Bei ihrer ersten Begegnung in seinem Landhaus war Fletcher mit einem karierten Knickerbocker-Anzug bekleidet gewesen. Für die Reise trug er einen Frack und eine gestreifte Hose sowie Zugstiefel mit weißen Gamaschen. Den schwarzen Zylinderhut riss er sich natürlich vom Kopf, sobald er eine Dame zu begrüßen hatte.
Phineas Fletcher lächelte und entblößte dabei seine großen gelben Zähne, die Kate an das Gebiss eines Pferdes erinnerten. Dann verbeugte er sich und küsste ihre Hand, genauer gesagt den Schlagring unter ihrem Handschuh. Aber falls der Erfinder bemerkte, dass er mit seinen Lippen einen ungewöhnlich harten Gegenstand berührt hatte, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken.
„Ich bin ebenfalls davon angetan, mit Ihnen diese Reise zu machen, Mr Fletcher. Darf ich fragen, ob Sie sich als Erfinder zu erkennen geben?“
Das Grinsen des Exzentrikers wurde noch breiter.
„Selbstverständlich nicht, Miss Fenton. Wir wollen es doch unseren Gegnern nicht zu leicht machen, nicht wahr? In meinem Reisepass bin ich als Privatier ausgewiesen. Das ist noch nicht einmal ganz falsch, denn ich lebe ja von einem ererbten Vermögen. Leider konnte ich meine mechanischen Neuentwicklungen noch nicht in klingende Münze umsetzen.“
Das konnte Kate sich lebhaft vorstellen. Der Markt für so ein Produkt wie die Anti-Vampir-Maschine war gewiss eher klein. Vor allem, nachdem Phineas Fletcher kürzlich eine ganze Vampirsippe mit seinem Apparat ausgelöscht hatte. Neue Vampire wuchsen schließlich nicht auf den Bäumen. Aber Kate war optimistisch, dass der Einfallsreichtum des Erfinders keine Grenzen kannte.
Nun gesellte sich auch Kriminalassistent David Benson zu ihnen, schüchtern und ungelenk wie immer. Auch er murmelte einen Gruß, wobei er es vermied, Kate und Phineas Fletcher in die Augen zu sehen.
Kate seufzte innerlich und konzentrierte sich zunächst lieber auf das Luftschiff, mit dem sie nach Paris fahren würden. Noch nie zuvor hatte sie eine solch majestätische Flugmaschine aus der Nähe gesehen. Es war etwas völlig anderes, die Apparate am Himmel oder aus sicherer Entfernung zu erblicken. Nun stand Kate unmittelbar davor. Sie musste sich beherrschen, um das Luftschiff nicht mit offenem Mund anzustaunen.
Die gasgefüllte Hülle ragte vor Kate auf wie eine leicht gekrümmte graue Felswand. Das Kautschukmaterial war mit einer Bordüre in den englischen Nationalfarben versehen. Die Passagierkabine bestand aus solidem Eisen und bot Platz für insgesamt 50 Ladies und Gentlemen. Am Bug gab es unterhalb der Kommandobrücke eine kleine Aussichtsplattform. Neben einem Speisesalon und einem Aufenthaltsraum sowie einem Rauchzimmer für die Herren verfügte das Passagierschiff auch über genügend Einzel- und Doppelkabinen.
Über ein Eisentreppchen gelangte Kate an Bord. Gemeinsam mit ihren beiden Begleitern ging sie in den Salon, wo ein Steward in weißer Livree ihr sofort ein mit Champagnerkelchen gefülltes Silbertablett unter die Nase hielt. Kate hätte eigentlich lieber ein Bier gehabt. Plötzlich konnte sie sehr gut verstehen, warum David Benson so gehemmt war. Auch sie fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Das hier war ganz gewiss nicht ihre Welt.
„Sie können den Champagner ruhig trinken, er ist gratis“, raunte Phineas Fletcher ihr zu. „Alle Speisen und Getränke sind im Fahrtpreis inbegriffen.“
Kate warf dem Erfinder einen dankbaren Blick zu und nahm ein Glas. Fletcher mochte ein seltsamer Eigenbrötler sein, aber er bewegte sich auf dem Parkett der gehobenen Gesellschaft zweifellos ungezwungener als Kate selbst. Doch wenn er von einem ererbten Vermögen lebte, dann stammte er zweifellos aus der Oberschicht und war in diesen Kreisen aufgewachsen.
Der Champagner
Weitere Kostenlose Bücher