Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 5
gesagt, was er für sie empfand.
Und Kate?
Sie führte sich beinahe krampfhaft vor Augen, dass sie mit James verlobt war. Wie konnte sie auch nur daran denken, sich mit einem anderen Kerl einzulassen? Zumal James Barwick ihr Traummann war. Kate fand es beeindruckend, dass er sein Leben riskierte, um im Auftrag der geheimen Bruderschaft vom Reinen Herzen gegen das Böse in der Welt zu kämpfen. Verglichen mit diesem edlen Ziel war Roger Leclerc doch nur ein eitler Tropf, der keinen wichtigeren Lebenssinn kannte als sein eigenes Vergnügen.
Und doch verursachte dieser Bohemien bei Kate gefährlich verlockende Sinnesverwirrungen, die ihr selbst ein wenig unheimlich waren. Sie überlegte, ob sie lieber nichts mehr trinken sollte. Aber andererseits hatte sie Durst, was durch den Sherry nicht besser geworden war. Vielleicht würde ja der Weißwein ihrer Zunge schmeicheln und ihr Gemüt ein wenig besänftigen. Das wäre auf jeden Fall besser. Denn sonst konnte Kate für nichts garantieren, was sie während der vor ihr liegenden Nacht noch tun würde.
„Eine Flasche Château Chalon, abgefüllt vom Weingut Prosper in der Region Jura, aus dem Jahre 1823. Ein ausgezeichneter Jahrgang mit einem erstklassigen Bukett, das ist jedenfalls meine persönliche Meinung.“
Kate blickte verwirrt auf. Im ersten Moment war ihr nicht ganz klar, worüber der Bohemien überhaupt sprach. Dann begriff sie, dass von dem Tischgetränk die Rede war. Der Weinkellner hielt ihr das Flaschenetikett unter die Nase, als ob sie damit etwas anfangen könnte. In ihrem Lieblingspub im Londoner East End musste sich Kate immer nur zwischen Brown Ale, Bitter Ale und Lager Beer entscheiden. Also nickte sie einfach, worauf der Bedienstete im Frack ihr Weinglas füllte.
Nachdem der Kellner auch Leclerc Wein eingeschenkt hatte, verschwand er so geräuschlos und unauffällig wie ein Geist. Der Franzose hob lächelnd sein Glas. „Ich trinke auf meine tapfere und schöne Begleitung.“
Kate hob ebenfalls ihr Weinglas und probierte von dem Rebensaft. Ob es nun an der Atmosphäre lag oder ob diese Sorte wirklich so gut war – jedenfalls hatte Kate noch niemals in ihrem Leben etwas Vergleichbares getrunken. Der Wein schmeckte nach einem Sommertag, den man glücklich und träge dösend in der Sonne verbringt. Jedenfalls kam es Kate so vor.
„Sie müssen mir meine Neugierde verzeihen, Kate. Aber ich möchte gern mehr über diese Apachen erfahren, von denen Sie geraubt worden sind. Sie müssen verstehen, dass wir nicht-kriminellen Einwohner von Paris uns vor diesen rauen Burschen fürchten. Deshalb wollen wir so viel wie möglich über diese Kerle erfahren, um uns besser vor ihnen schützen zu können.“
Kam es Kate nur so vor oder hatte Leclercs Stimme nun einen lauernden Unterton angenommen? Ob er ihr doch nicht glaubte? Kate war enttäuscht, obwohl ihr Begleiter ihr dafür eigentlich noch keinen Anlass gegeben hatte. Ihre Antwort fiel schärfer aus, als sie es eigentlich wollte.
„Falls Sie an meinen Worten zweifeln, dann empfehle ich Ihnen, den Chef dieser Apachenbande aufzusuchen. Er nennt sich Serpent und wird jetzt gewiss sehr verstimmt sein, weil ich seinen Leuten so einfach entkommen bin. Aber ich bin im Londoner East End aufgewachsen, und ich habe gelernt, meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Deshalb können mich auch Ihre Pariser Apachen überhaupt nicht beeindrucken!“
Nun geschah etwas, das Kate kaum für möglich gehalten hätte. Leclerc erbleichte nämlich. Für einen Moment glaubte sie, so etwas wie nackte Furcht auf seinem Gesicht zu erkennen. Oder spielte er ihr eine Komödie vor? Aber warum sollte er so tun, als ob er sich ängstigte? Außerdem konnte Kate sich nicht vorstellen, dass ein Mensch absichtlich jede Farbe in seinem Gesicht verlieren konnte.
Der Bohemien trank sein Weißweinglas mit einem Schluck aus und schenkte sich sofort wieder ein. Nachdem er seine schlagartig schweißnass gewordene Stirn getrocknet hatte, fand er die Sprache wieder.
„Sie haben sich mit Serpent angelegt, Kate? Mein Kompliment, denn dieser Galgenvogel gehört zu den gefährlichsten Nachtgestalten von Paris. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten stimmt, die man sich über ihn erzählt, dann ist dieser Mann ein Alptraum auf zwei Beinen. Jedenfalls kann man ihn keinesfalls als einen drittklassigen Eckensteher ansehen, der einem Betrunkenen die Brieftasche klaut. Daher ist meine Hochachtung vor Ihnen nur noch mehr angewachsen,
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