Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 7
Möglichkeit, auf den Rücken eines Elefanten zu steigen. In London selbst konnte man sich höchstens ein Buch oder eine Zeitung kaufen, in dem ein solcher Dickhäuter abgebildet war.
Li Fang musste wirklich ein schlechtes Gewissen haben. Jedenfalls schaffte er es in Rekordzeit, den Kessel richtig heftig unter Dampf zu setzen. Kate schob die Steuerhebel nach vorne. Die Rotoren-Blätter des Drehflüglers setzten sich quietschend und ratternd in Bewegung. Scheppernd erhob sich der Dampfkutter vom schmutzigen Kopfsteinpflaster der Whitechapel Road.
Die Straßenjungen johlten begeistert und liefen noch ein Stück hinter dem Flugapparat her, bis er sich hoch über den Tower von London erhob und jenseits der Tower Gardens aus dem Blickfeld verschwand. Hier, in den ärmeren Vierteln der Hauptstadt, war der Anblick eines Flugapparates immer noch eine kleine Sensation. Die Reichen hingegen benutzten die flinken und wendigen Miet-Drehflügler gerne als schnelles Transportmittel – zum Leidwesen der zahlreichen Kutscher von Pferdedroschken, die ihre Existenz bedroht sahen.
Kates Ziel war die Brewer Street am Rand von Soho. Dort hatte ihr Verlobter James Barwick seine Kanzlei. Kates Liebster arbeitete in einem kleinen angemieteten Büro, unmittelbar neben einem Ein-Mann-Übersetzungsservice und einer Vertriebsstelle für Wundermedizin.
Kate sprang leichtfüßig die Stufen in die zweite Etage hoch, nachdem sie ihren Dampfkutter gelandet hatte. Li Fang blieb wieder auf dem Heizer-Drahtsitz hocken, was ihr jetzt nur recht war. Sie wollte allein mit James reden. Ihr Herz klopfte vor Aufregung so schnell wie das Schwungrad einer modernen Hopkins-Maschine. Kate riss die Tür auf, ohne zuvor anzuklopfen. In ihrer aufgekratzten Stimmung vergaß sie alle Manieren.
Doch es sah ohnehin nicht danach aus, als ob ihr Verlobter momentan in Arbeit ersticken würde. James saß hinter dem gemieteten Schreibtisch in seinem kleinen Kontor und las Zeitung. Nichts deutete darauf hin, dass er momentan viele Klienten hatte. Oder auch nur einen einzigen Klienten. James verdiente nicht viel, aber das störte Kate überhaupt nicht. Der Anwaltsberuf war für ihn eigentlich nur eine Fassade.
James’ eigentliche Lebensaufgabe bestand in seiner Mitwirkung bei der Bruderschaft vom Reinen Herzen – einem Geheimbund, der sich die Bekämpfung des Bösen in der Welt zur Aufgabe gestellt hatte. Er hatte Kate bei dem gemeinsamen Kampf gegen eine erbarmungslose Vampirsippe kennengelernt, und auch bei der Jagd nach der geheimnisvollen Paris-Maschine vor einigen Wochen waren Kate und James wieder ein perfektes Team gewesen.
Der junge Anwalt strahlte, als er seine Besucherin erkannte. Mit seiner athletischen Figur, seinen betörenden dunkelbraunen Augen und seinem gepflegten Backenbart zog er die Blicke vieler Damen auf sich. Doch James hatte Kate noch niemals einen ernsthaften Grund zur Eifersucht gegeben. An diesem Tag trug er in seinem dunklen Gehrock ein violettes Einstecktuch. Genau wie damals, als Kate ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Das war im Frühjahr gewesen, vor Beginn der Weltausstellung im Londoner Hyde Park. Es kam Kate so vor, als wäre es schon eine halbe Ewigkeit her.
„Kate! Das ist ja eine wundervolle Überraschung an diesem öden Novembertag.“ Schnell kam James hinter seinem Schreibtisch hervor und nahm Kate in die Arme. Sie trug die rußbefleckte Lederschürze der Dampfkutter-Piloten über ihrem Kleid, aber James drückte sie trotzdem fest an sich. Kate mochte es, wenn sie ihn so nahe bei sich spüren konnte, das wusste er genau.
Kate legte den Kopf in den Nacken und öffnete leicht ihre Lippen. Obwohl sie nun schon einige Monate mit James zusammen war, verursachte seine Gegenwart bei ihr immer noch heftige Gefühlsstürme in ihrem tiefsten Inneren. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern würde.
Trotz ihrer Aufregung konnte sie diese Momente des Glücks in James’ Armen genießen. Auch seinen Kuss fand Kate so prickelnd und anregend wie immer. Doch dann löste sie sich schnell wieder von James. Sie bestürmte ihn mit den Neuigkeiten über Eileen und ihrer geplanten Indien-Reise.
James zog unwillig die Augenbrauen zusammen.
„Du willst nach Indien, Kate? Ist das dein Ernst?“
Die kühle Reaktion ihres Geliebten gab Kate einen Stich ins Herz. Doch so schnell ließ sie sich nicht entmutigen.
„Natürlich! Ich habe dir doch von Eileen erzählt. Sie ist meine beste Freundin, und ich habe mir wegen
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