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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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liegt an dir, sagte er.
    – Ich kann so nicht leben.
    Ein kleines Stück Salatblatt hatte sich in ihrer Zahnspange verfangen.
    – Mach dich nicht lächerlich, sagte er. Was brauchst du denn noch, damit du leben kannst mit uns?
    – Mit dir kann ich nicht leben. Du bist gefühlskalt, hart und zynisch. Spürst du nicht, wie du alles vergiftest? Ich kann so nicht leben und ich will so nicht leben.
    Der hellgrüne Fleck auf ihrem Zahndraht hüpfte immer schneller auf und ab. Er versuchte Haltung zu bewahren, aber es gelang ihm nicht. Er konnte den Lachreiz nicht länger bändigen. Er warf sich in den Sand und lachte. Hör auf, schrie er, hör auf zu reden, ich kann dir einfach nicht mehr zusehen beim Reden. Er lachte über das auf- und abhüpfende Salatblatt und wusste gleichzeitig, dass das ein Fehler war und ein Missverständnis.
    Um das Geheimnis der Riesenwellen zu lüften, beschäftigten sich die Meeresforscher auch mit anderen Disziplinen. Sie experimentierten. Kurzen, langsamen Wellen schickten sie lange, schnelle Wellen nach, die Wellen überlagerten sich, bis plötzlich ein riesiger Wellenberg entstand, der gegen die Wand des Versuchsbeckens knallte. Die Gischt durchschlug das Eternitdach des Labors.
    Schlussfolgerung der Forscher: Der Kaventsmann entsteht »einfach so«. Neben den bekannten linearen Wellen gibt es unstabile Wellen, die die Energie von nachfolgenden Wellen aufnehmen können und dann als Monster aus dem Wasser steigen.
    Das Meer hatte sich weit zurückgezogen. Sie legte ihre Kleider ab und folgte dem Wasser. Zieh dich warm an, rief er ihr hinterher. Das Meer hat siebzehn Grad. Mehr nicht. Er sah ihr zu, wie sie hinausschwamm und einige Male prustend untertauchte.
    – Ist das Wasser kalt?, schrie er ihr zu. Sie tauchte auf und wandte sich wieder dem Strand zu. Mit kräftigen Tempi teilte sie das Wasser. Aber sie kam nicht vom Fleck. Sie hob die Hand. Sie rief ihm etwas zu.
    – Hilf mir!
    Er stand auf, um sie besser zu sehen.
    – Bleibe ganz ruhig!, schrie er. Nicht in Panik geraten.
    Sie schrie verzweifelt. Ein starker Sog schien sie immer weiter aufs offene Meer hinauszuziehen. Das Wasser war eiskalt. Er musste ihr helfen. Er musste sich ausziehen. Die Socken zuerst. Nie war sie zufrieden. Immer gab es Schwierigkeiten mit ihr. Er hörte ein scharfes Zischen und blickte auf. Ein Wellenreiter fuhr übers Meer zu seiner Frau. Er stand bis zu den Waden im Wasser und sah ihnen zu. Die Frau klammerte sich am Surfbrett fest. Der Surfer zog sie aufs Brett und paddelte am Rande der Bucht auf den Strand zu. Bald hatten sie Boden unter den Füßen. Seine Frau schien nicht alleine stehen zu können. Der Wellenreiter musste sie stützen. Er schlang ihren Arm um seine Schultern und schleppte sie zum Ufer, wo sie sich hustend, keuchend und weinend in den Sand fallen ließ.
    – You are the husband?
    Er beugte sich über die spuckende, zitternde Frau.
    – Alles in Ordnung? Sie sah ihn an.
    The sea is too rough. Es gibt keine Überfahrt. Wir sind am Ende … Merkst du das nicht?
    Das Sprichwörterbuch lag aufgeschlagen im Sand. Einige Sprichwörter hatte sie sich angestrichen. Ni fhanann trá le fear mall. An ebb does not wait for a slow man.

Feuerbrand
    Schwarze Blätter. Gekrümmte Jungtriebe. Sie hatte die Veränderung bemerkt. Auf einen Insektenschädling hatte sie gehofft, auf die größere Erfahrung der alten Nachbarn, die unterscheiden konnten. Ein Spinner, ein Sauger, ein Stecher. Aber deren müde, trübe Augen wollten nicht sehen. Jetzt glänzten Tropfen an den verdorrten Trieben. Honiggelb. Es bestand Meldepflicht. Feuerbrand.
    Sie würde Abschied nehmen müssen von dieser Landschaft und nach ihrer Reise zurückkehren an einen Ort, den es nicht mehr gab. Eine Bakterie, Erwinia Amylovora, lichtete das Land. Den Kindern hatte sie neue Gegenden zeigen wollen. Daheim wurde die Landschaft fremd. Sie hatte sich den Aufbruch in die Zukunft anders vorgestellt. Diese Zukunft war wieder vorhersehbar und versprach keine Überraschungen. Ein Frühling ohne Blütenwolken über hügeligem Land, im Sommer keine Schatten, der Herbst ohne Apfelrot und im Winter nur mehr die Erinnerung an schwarze Krähenbäume auf gleißenden Wellen des Schnees.
    Es gab Vorschriften, was zu tun war. Die Bäume umschneiden. Die Säge desinfizieren. Das kontaminierte Holz an Ort und Stelle verbrennen. Im Haus war sie nie warm geworden. Oft hatte sie sich vorgestellt, dass eine Abrissbirne in seine Mauern krachte. Mit einem

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