Hohe Wasser
im Kopf, das Ausrichten von Geburtstagsfesten, das Einkochen und Ansetzen. Sie hatte sich alles selbst beigebracht, Lehrgeld gezahlt, und sie war doch keine Meisterin geworden. Im Keller stapelten sich Marmeladegläser, Saftflaschen und Gurkentöpfe, die niemand wollte, an die niemand dachte. Sie verzettelte sich beim Kochen und verrannte sich beim Erzählen. Wo war ich stehen geblieben? Um den Anschluss an die Welt draußen nicht ganz zu verlieren, rasierte sie sich die Beine und sparte für den Friseur und eine neue Haarfarbe. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie ans Haus gebunden war. Man setzt keine Kinder in die Welt, um sie dann anderen zu überlassen. So waren sie sich alle selbst überlassen geblieben, und sie hatte es nicht bemerkt, weil sie zu tun hatte mit Schlieren an den Fenstern, widerborstigen Kinderhaaren, mit dem Haushaltsbuch und dem selbstreinigenden Backrohr.
Schwer und heiß lagen die Köpfe der Kinder auf ihr. Ihre Kinder, die jetzt, erschöpft von der Reise, in unruhigen Träumen trieben. Sie hatte gehofft, endlich wieder Weite zu finden und durchzuatmen, aber vorerst blieb es eng. Auf dem Rücken lag sie mit absterbenden Gliedern, nach Luft ringend und nach Schlaf. Ein gestrandetes Muttertier.
Mit den Koffern würde es schwierig sein, am Strand zu übernachten. Schwerer Fehler in der Planung, gleich zu Beginn. Schlimmer noch. Sie war ohne Plan weggefahren. Zu viel Gepäck, zu wenig Geld. Bei den Mahlzeiten ließ sich sparen. Sie würden sich von Baguettes ernähren, von Crepês und Galettes, und am Abend zum Meer gehen. Sie wollte es den Kindern erklären. Immerhin. Sie waren angekommen. Der Zugang zum Meer war gefunden. Der Ausgangspunkt war gut. Eine befestigte Stadt, erbaut von Korsaren, die sich immer geholt hatten, was ihnen gefiel. Das Mosaikbad war ein Luxus. Warum sollte der Neuanfang in einer Absteige beginnen?
Die Motorsäge schnitt ins Holz. Sie schnitt in das harte Holz der Mostbirnbäume, die den Weg zum Haus wiesen. Saftige Birnen. Eine alte Sorte, im Herbst mit wildem Geschmack und leichtem Honiggeruch. Prickelnder Most nährte den Sturm im Gemüt. Das Holz leuchtete rötlich und frisch. Die Wachstumsringe erzählten von harten Zeiten, von Dürrejahren und von den Hochwassern.
Die Kinder waren erschöpft eingeschlafen. Es war heiß und stickig im Zimmer. Lorient hieß die neue Stadt. Eine Stadt vom Reißbrett. Einst reich geworden durch sogenannten »Elfenbeinhandel«. Ein Dreieckshandel: Tausche Perlen und Tand gegen Sklaven in Afrika, Sklaven gegen Gewürze, Porzellan und Seide in den Kolonien. Wieder in Lorient zurück, wurden Anteilsscheine fällig. Nach dem Verlust der Kolonien wurde die Stadt zum Waffenlager. Den Bomben des letzten Krieges widerstanden nur die Befestigungsanlagen der deutschen Besatzer. Die Stadt erstand wieder am Reißbrett. Die Klimaanlage funktionierte nicht. Vor den Fenstern war über die gesamte Vorderfront des Hotels eine zusätzliche Glaswand angebracht worden. In der Nacht schien es ruhig zu sein bis auf ein dumpfes Grollen und Stampfen, das aus einer der großen, hell erleuchteten Hallen auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam. Durch das geöffnete Fenster drang statt frischer Luft der säuerlich-stechende Geruch von verrottendem Fisch. Sie waren im Port de Pêche, im Fischereihafen, abgestiegen. Das grüne Hotelzimmer in der Korsarenstadt hatte den Großteil ihres Reisebudgets verschlungen. Sie hatte sich entschlossen, trotzdem länger zu bleiben. Es war ein guter Ort, um den Atem des Ozeans zu spüren. Sie tauchte ein in die andere Welt, streifte durch Gärten fein gewirkter Rotalgen, bestaunte die knotigen Büschel des Blasentangs und die braun wogenden breiten Bänder des Fingertangs, die sich, vom Meeresboden losgerissen, Schwimmenden um die Knöchel schlangen oder auf die Schulter legten. Die Kinder waren enttäuscht. Sie kannten nur die kroatische Adria. Dieses Meer mit seinem ständigen Wandel war ihnen unheimlich. Trotz der Hitze entfachte das Wasser Gänsehaut. Am Abend am Strand knirschte Sand zwischen den Zähnen, und der Wind zerrte an Haaren und Kleidern, dass sie sich hin- und hergetrieben fühlten wie Algen in der Strömung. Es brauchte Zeit, bis sich die Kinder auf diesen neuen Rhythmus einstimmten. Diese Zeit musste sie ihnen geben. Es war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte.
In die fremde Sprache hatte sie sich soweit hineingefunden, dass nicht mehr alles ein Problem war. Aber beim Gehen
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