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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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die Thunfische gar nicht zur bretonischen Küste. Das Wasser ist zu warm.
    – Es ist nicht warm. Es ist heiß, sagte der Bub. Es ist so heiß, dass ich fast keinen Schatten mehr habe.
    – Am Nachmittag wird dein Schatten wieder wachsen, sagte sie.
    – Ich sehe gar keinen Schatten, maulte das Mädchen, warum müssen wir bei der größten Hitze diese steile Straße hinaufgehen, warum haben wir das Gepäck nicht im Hafen gelassen? Wohin gehen wir eigentlich?
    – Wir haben keinen Schatten, weil die Sonne bei dieser Hitze nicht arbeiten will, sagte der Bub, ich will auch nicht mehr arbeiten.
    Er setzte sich auf seinen Koffer.
    – Oben bei der Kirche gibt es bestimmt ein Café, sagte sie, dort rasten wir.
    – Ich geh nicht weiter, sagte der Bub.
    – Ich auch nicht, sagte das Mädchen.
    – Ich möchte nicht in der prallen Sonne stehen bleiben, sagte sie, kommt jetzt endlich. Wenn euch die Ferien mit mir zu anstrengend sind, fahrt ihr im nächsten Sommer ins Ferienlager.
    – Warum ins Ferienlager, sagte der Bub, mit dem Papa fahren wir in die Ferien, wir fahren nur mehr mit dem Papa fort, ich sag es ihm, dass wir die ganzen Ferien Koffer schleppen mussten, dass wir kein Eis bekommen, dass du Zeitungen liest und Wein trinkst.
    Sie war wieder gestolpert. Im letzten Moment fand sie die Balance. Jetzt schmerzte auch der Knöchel. Sie biss sich auf die Lippen, um den Ärger und den Schmerz zu unterdrücken.
    – Du hast schon wieder ein Ameisengesicht, sagte das Mädchen.
    – Ameisengesicht, Ameisengesicht, spottete der Bub.
    Die Insel hatte sich gegen sie verschworen. Sie schien sich vorgenommen zu haben, sie bei erster Gelegenheit abzuwerfen. Eine unbarmherzige Sonne verbrannte Schultern und Gesicht. Die Türen vor ihnen öffneten sich nur einen kleinen Spalt, als sollte auch die Luft am Eindringen gehindert werden. Nein leider, wir sind komplett. Nein, ich weiß nicht, ob noch jemand Zimmer vermietet, die sind alle voll, jetzt im Sommer. Auch der Kirchplatz war menschenleer. Das Café der Buchhandlung hatte Mittagspause, die Pizzeria bereits geschlossen, und in die Crêperie, in der noch Gäste bei einer Flasche Cidre saßen, ließ man sie nicht mehr hinein. Die Kellnerin wollte ihnen auch nichts über die Gasse verkaufen. Am Abend kommen Sie, am Abend haben wir wieder geöffnet, sagte das Mädchen und drängte sie höflich, aber bestimmt zur Tür.
    – Ah, Madame Autrichienne, sagte Monsieur Maurice. Ich freue mich, dass Sie mich anrufen. Ich kann Ihnen helfen?
    – Ja, wir benötigen Hilfe. Könnten wir das Gepäck bei Ihnen einstellen, bis wir ein Zimmer gefunden haben?
    – Aber sicherlich, kein Problem, Madame. In unserem Ferienhaus ist Platz genug. Ich habe meiner Frau und den Kindern von Ihnen erzählt.
     
    Die Motorsäge schnitt ins Holz. Sie schnitt in den gekrümmten Stamm der Mispel. Im Frühling Bienentosen in weißer Blütengischt, im Herbst Fruchtregen nach dem Blätterfall. Die runden, prallen Früchte erst genießbar nach dem Frost. Würzige Säure in braunem Fleisch zwischen Lederhaut und großen, harten Kernen.
     
    Die Insel war vor 400 Millionen Jahren aus dem Meer getrieben worden, als zwei Platten der Erdkruste kollidierten. An der Oberfläche der Insel fanden sich Mineralien, die es sonst nur tief im Erdinneren gab. Die Kinder interessierten sich nicht besonders für die schematische Darstellung von erstarrtem Magma, für die Faltung von Gesteinsschichten, für das Entstehen von neuem Gestein unter großem Druck und Hitze. Im maison de la réserve naturelle drückten sie desinteressiert Knöpfe, um rote Lämpchen leuchten zu sehen. Sie waren ungeduldig, wollten sofort hinaus, um den roten Granatsand, die grün-blauen Glaukophanschichten, die glänzenden Quarzadern, die schwarzen Pyriteinlagerungen, Rutilnadeln und silbernen Glimmerplatten mit eigenen Händen zu fühlen. Aber derjenige, der genaue Auskunft über das Naturschutzgebiet hätte geben können, telefonierte und kritzelte blaue Wellen auf die Schreibunterlage. Natürlich möchten wir weitermachen. Es liegt an der Regierung und an der EU. Wir haben noch keine Nachricht. Wir wissen nicht, ob das Forschungsprojekt akzeptiert wird. Nein, wir haben keine Sponsoren … Der Mann hatte feste Oberarme, der Schwung des Bizeps ging über in den sanften Bogen des Schlüsselbeins auf der gebräunten Haut. Er trug ein ärmelloses T-Shirt, das die Wölbung trainierter Brustmuskeln erkennen ließ. Dunkle Haare rollten sich in den Achseln. Die Finger,

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