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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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waren an den Knöcheln mit einem roten Band zusammengebunden. Ein Mann mit einem langen Mantel und einer Pelzmütze stiefelte um die nackte Frau herum. Die Frau wand sich im Schnee. Der Mann öffnete den Reißverschluss seiner Hose. Dann wälzte er die Frau auf den Bauch und brachte sie auf die Knie. Ihre Brüste rieb er mit Schnee ein. Die Kamera zeigte steife Brustwarzen. Der Mann bearbeitete die Hinterbacken der Frau. Die Kamera schwenkte von den nackten Fußsohlen und gefesselten Gelenken zu den Händen des Mannes, die die Frau für das Objektiv breit machten. Der Mann streifte seine Lederhandschuhe ab und schlug die Frau damit. Er ließ Schnee auf ihre Körperöffnungen rieseln. Die Kamera sah zu, wie der Schnee schmolz und der Mann in einer grotesk gebeugten Haltung in die Frau eindrang. Ruckartige Bewegungen. Verzerrte Gesichter. Der Mann spritzte. Die Frau rollte auf die Eisdecke des Sees. Der Mann folgte ihr. Ein jäher Schnitt, ein kurzer Nachspann. Rusalka hieß der Film. Amateurfilmer wurden aufgefordert, ihre Beiträge ebenfalls an den Kanal zu schicken. Dann die Ansage verschiedener Sex-Hotlines. 24 Programme waren gespeichert. Mit der Fernbedienung glitt sie durch die Kanäle, und als sie wieder beim XL-Channel ankam, stand ein nackter Mann in Kochschürze über eine auf einem gedeckten Tisch liegende Frau gebeugt. Draußen rollten Kühlwagen mit dem frischen Fang der Nacht aus dem Hafen.
    Andere hatten es von Anfang an gewusst. Sie war gewarnt worden. Sie hatte nicht hören wollen. Sie hatte die Bedenken verlacht. Sie war dem Mann in eine andere Stadt und aufs Land gefolgt, hatte ihre Ausbildung und den Kontakt zu Studienkollegen und Freundinnen abgebrochen. Sie hatte die Unterstützung ihrer Eltern abgelehnt. Ein Nest braucht keinen Notausgang. Er hatte sie nicht einmal besonders überreden müssen. Sein verlegenes Lächeln genügte. Sie wollte es so. Sie wollte mit diesem Mann gehen, sie wollte diesen Mann haben, sie wollte nicht mehr sein ohne ihn. Ob das die Liebe gewesen war? Die freudigen Schauer, die anfangs bei jeder Berührung, bei jedem Blick ihren Körper zum Fließen brachten, waren bereits vor den Kindern verebbt. Geblieben war eine harte Lust. Regelmäßig und gewissenhaft kümmerte er sich darum, und sie hielt es für angebracht, sich mit dieser Entwicklung der Liebe zu einer Art Kameradschaft abzufinden und glücklich zu bleiben. Von Anfang an hatte sie zu wenig auf die Gespräche geachtet. Wenn das nur gut geht, hatte die Freundin gesagt, ihr habt doch keine gemeinsamen Interessen. Sie hatte der Freundin verboten weiterzusprechen. Weil sich die Freundin das Wort nicht verbieten ließ, hatte sie sich von ihr zurückgezogen. Sie war freiwillig verstummt. Warum hatten alle Angst, vertrautes Terrain zu verlassen? Wo es keine gemeinsamen Interessen gab, konnten neue entstehen. Wo eine Sprache nicht ausreichte, konnten neue Worte erfunden werden. Aber der Mann sprach nicht viel. Von Anfang an. Hinter seinem Schweigen steckte kein Geheimnis. Er hatte ihr wirklich nichts zu sagen. Sie hatte neben ihm ihre Sprache verloren, ohne dass es besonders aufgefallen war. Als er ihr zu verstehen gab, dass es ihm ernst sei mit der Trennung, fehlten die Worte. Wie nach einem Schlaganfall musste sie das Sprechen wieder lernen. Es war mühselig und schmerzhaft. Sie hasste ihr Gestammel, an dem kein Fortschritt zu erkennen war. Erst am wachsenden Unmut der Kinder spürte sie, dass sich doch etwas änderte.
    Die Motorsäge schnitt ins Holz. Sie schnitt in die wegspritzenden Zweige des Weißdorns. Freundliche weiße Blütendolden im Frühling, rote mehlige Beeren im Herbst. Eine Futterhecke für Bienen. Unter dichtem Blattwerk versteckte Dornen und zähes Holz. Ein verlässlicher Zaun rund ums Haus.
     
    Die Kinder hatten sich abgesprochen. Sie gehorchten nicht und liefen ausgelassen davon. Sie ließ sie ziehen, stapelte das Gepäck alleine in der Nähe des Ausgangs und humpelte an die Reling der Fähre. Die Dieselschwaden des Schornsteins und das Dröhnen der Maschine machten sie benommen und schläfrig. Auf den Bugwellen des Schiffes schaukelten unruhige Möwen. Vorbei am Beton der Kriegsbunker und dem stechenden Geruch des Fischereihafens steuerten sie aufs Meer hinaus. Das Wetter versprach unverändert strahlend zu bleiben. Am Oberdeck drängten sich die Tagesausflügler, während sich im Salon die Pendler niedergelassen hatten, um noch etwas zu dösen. Im Meer vor ihr nahm eine Insel Konturen an. Qui

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