Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
während er die Panik in sich niederzukämpfen versuchte, die sich mit der Ahnung einer unglaublichen Wahrheit vermischte. »Sergé wird sich überzeugt haben, daß Euer Freund tot ist. Er war in diesen Dingen sehr gründlich.«
»Das kann ich mir vorstellen«, spottete Malthus. »Allerdings hat ihm das nicht viel Glück gebracht. Mittlerweile dient er nur noch als Fischfutter.«
Andrej starrte den Ritter mit einer Mischung aus Entsetzen und Abscheu an. »Und genau dieses Schicksal habt Ihr mir jetzt auch zugedacht«, vermutete er. »Nachdem Ihr meinen Sohn mit einem Holzpflock zu Tode gefoltert habt, wollt Ihr mich jetzt erschlagen und ins Meer werfen.«
»Aber nein.« Malthus schüttelte verwundert den Kopf. »Wie kommt Ihr nur auf diesen Gedanken?« Sein Gesicht hatte wieder den gewohnt überheblichen Ausdruck angenommen. »Wißt Ihr, was Ihr für ein Problem habt? Ihr wißt nichts über Euch selbst und über Eure geheimste Natur. Natürlich hat dieser Sergé Biehler getötet. Aber das bedeutet nicht, daß Biehler tot liegengeblieben ist. Denn im Gegensatz zu Euch hat Biehler schon mehrere Transformationen hinter sich.«
Andrej öffnete und schloß mehrmals hintereinander den Mund, wie ein Fisch, der nach Luft schnappt. »Er hat was?«
»Mehrere Transformationen hinter sich«, wiederholte Malthus und runzelte in einer Geste gespielter Überraschung die Stirn. »Wie sonst, glaubt Ihr, erlangt man ein Stück Unsterblichkeit?«
19
Nachdem er sich offenkundig mit Abu Dun geeinigt hatte, war Ják Demagyar aufgebrochen, um seinen Gefangenen und deren Wächtern entgegenzugehen. Der Zeitpunkt, für den er seine Rückkehr zugesichert hatte, war längst verstrichen, aber noch war weder von ihm noch von den Verschleppten auch nur eine Spur zu sehen. Malthus und der schwarze Sklavenhändler zeigten mittlerweile deutliche Anzeichen von Nervosität, auch wenn sich zumindest der Goldene alle Mühe gab, seine wahren Gefühle zu unterdrücken.
Die beiden standen weit genug von Andrej entfernt, um ihn ihre Gespräche nicht mithören zu lassen, aber man mußte ihre Worte gar nicht verstehen, um zu erkennen, daß sie alles andere als Freundlichkeiten austauschten. Abu Dun gestikulierte wild, während sich Malthus auf kurze, wütende Gesten beschränkte.
Lange nach Ablauf der verabredeten Frist drangen endlich Geräusche von draußen herein: Hufgeklapper, Schritte und ein Rumoren, das auf die Ankunft einer größeren Menschenmenge schließen ließ. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, aber herein trat nicht Demagyar, wie Andrej und offensichtlich auch Malthus und Abu Dun erwartet hatten, sondern Maria in Begleitung der beiden anderen goldenen Ritter: Kerber und Biehler.
Biehler war tatsächlich der Mann, den Sergé erschlagen hatte. Er wies nicht einmal einen Kratzer auf.
»Also doch«, rief Maria, bevor Andrej auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte.
Malthus schaute fragend zu ihr hinüber und setzte zu einer Antwort an, aber die Schwester des Inquisitors ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern rauschte an ihm vorbei und steuerte auf Delãny zu.
»Bindet diesen Mann los!« befahl sie entschieden. »Auf der Stelle!«
Malthus tauschte einen fragenden Blick mit Kerber und Biehler, erntete von beiden aber nur ein Achselzukken.
»Habt Ihr mich verstanden, Malthus?« fragte Maria scharf. »Ihr sollt ihn losbinden!
Als der Angesprochene nicht reagierte, zerrte und riß sie selbst an Andrejs Fesseln herum, gab dieses für sie aussichtslose Unterfangen aber bald wieder auf. Mit hochrotem Gesicht fuhr sie zu Malthus herum und herrschte ihn an: »Was ist los? Rede ich so undeutlich, oder seid Ihr plötzlich mit Taubheit geschlagen?«
»Bitte, Maria«, begann Malthus unbehaglich, »ich kann…«
»Ich habe Euch einen Befehl erteilt«, unterbrach ihn Maria. »Gehorcht! Sofort!«
Malthus trat ein paar Schritte auf sie zu, wich aber ihrem Blick aus. »Das kann ich nicht«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Es wäre nicht im Sinne Eures Bruders«, erklärte Biehler an Malthus’ Stelle.
»Nicht im Sinne …?« Maria stockte und atmete tief durch, als wolle oder könne sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann fuhr sie gepreßt, aber mit beherrschterer Stimme fort: »Im Augenblick spreche ich im Sinne meines Bruders. Und ich befehle Euch, diesen Mann auf der Stelle loszubinden!«
»Nein«, sagte Biehler ruhig.
»Nein?«
»Nein«, bestätigte der Ritter.
»Bitte, versteht doch, Maria …« Malthus’ Stimme
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