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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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hinter den Dingen, und wenn er erst einmal bereit war, das zu akzeptieren, dann waren die Folgerungen aus diesem Gedankengang schlichtweg entsetzlich.
All die Jahre, in denen ihn Michail Nadasdy trainiert hatte, hatte er ihn nie gefragt, warum er ihn überhaupt dieser Anstrengung unterzog. Er war nie auf die Idee gekommen nachzuhaken, was für einen Sinn es machen sollte, einen transsilvanischen Bauernsohn zu einem begnadeten Schwertkämpfer zu erziehen. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß Michail die besten Jahre seines Lebens damit verschwendete, ihn tagtäglich zu drillen, als würde irgendwann einmal das Leben seines Stiefsohns davon abhängen.
Er hatte deswegen nicht danach gefragt, weil er es die ganze Zeit über insgeheim gewußt hatte. Irgend etwas in ihm hatte von einem Erbe gewußt, das ihn zum Außenseiter machte - nicht einmal so sehr in Borsã, wo einige Menschen mehr oder minder mit dem Fluch dieses Erbes gestraft waren und damit in relativer Ruhe zu leben verstanden, nicht einmal in Transsilvanien, wo dieses Phänomen womöglich häufiger auftrat als im Rest der Welt -, sondern im Angesicht ganz normaler Menschen wie Maria.
»Ihr schweigt, als hättet Ihr endlich begriffen«, sagte Malthus. »Ich kann nur hoffen, daß es so ist. Es wäre mir furchtbar, wenn Ihr ohne das nötige Wissen in den Tod gehen würdet.«
»Ich habe überhaupt nichts begriffen«, antwortete Delãny gehässig. »Außer, daß Ihr der Mörder meines Sohnes seid.«
Malthus schwieg eine ganze Weile. »Es täte mir leid, wenn das alles ist, was Ihr verstanden habt«, sagte er schließlich. »Zumal es nicht die Wahrheit ist. Jedenfalls nicht in diesem Sinne.« Er beugte sich ein ganz kleines Stück vor. »Jeder von uns stirbt nach einer mehr oder minder normalen Lebensspanne - wenn er nicht zuvor zerstückelt, zerquetscht wird oder lichterloh verbrennt. Warum glaubt Ihr wohl, verbrennt man schon seit Anbeginn der Zeiten Menschen, die im Verdacht stehen, mit dem Bösen im Bunde stehen? Warum steinigt man Ketzer, bis ihr Körper zur Unkenntlichkeit zertrümmert ist? Warum vierteilt man Außenseiter, denen man ruchlose Verbrechen angehängt hat?«
»Ihr wollt damit sagen …«, stammelte Andrej.
»Ich will damit sagen, daß uns die normalen Menschen durchaus häufig genug erkennen und erbarmungslos ausrotten, wenn sie unserer habhaft werden«, sagte Malthus bitter. »Sie kennen keine Gnade mit uns. Und sie würden uns noch viel bestialischer jagen, wenn sie unser Geheimnis kennen würden.«
»Welches Geheimnis?«
Der Ritter zögerte, und Andrej spürte den Zweifel, der Malthus daran hinderte, einfach draufloszureden. »Was soll es«, sagte er dann doch. »Ihr habt ein Recht zu wissen, zu welcher Art Ihr gehört.«
»Zu welcher Art gehöre ich denn?« fragte Delãny mit klopfendem Herzen.
»Ein Teil des Geheimnisses ist, daß man uns viel leichter töten kann, als selbst die wenigen Eingeweihten glauben: Ein gezielter Stich ins Herz genügt.«
So, wie er es sagte, war das bei weitem nur der kleinere Teil der Wahrheit. »Was gehört noch zu unserem Geheimnis?« fragte Delãny heiser.
Malthus lächelte traurig. »Wir leben zwar länger als andere - aber nicht ewig. Es sei denn …«
»Es sei denn was?«
»Es sei denn, wir nähren uns vom Blut unserer eigenen Art. Es sei denn, wir töten einen der unseren - und laben uns an seinem Saft.«
Andrej starrte ihn fassungslos an. Sein Herz raste, und seine Hände zitterten, als hätte er soeben eine große Anstrengung vollbracht.
»Damit wir uns recht verstehen, Delãny«, sagte Malthus ruhig. »Es geht in unserem Kampf darum, wer am Ende die Kraft des anderen aufnehmen kann. Um einen weiteren Schritt in die Unendlichkeit zu tun.«
Andrej gab keine Antwort mehr. Jedes weitere Wort war sinnlos. Malthus war in der Tat anders als Kerber und Biehler. Zweifellos war er der Gefährlichste der drei - aber möglicherweise hatte er auch ein tragischeres Schicksal durchlitten als seine beiden Kumpane. Und er glaubte an das, was er Andrej gerade versucht hatte zu verdeutlichen. Irgendwann, vor sehr langer Zeit, mußte Malthus an der Erkenntnis dessen, was er für seine Bestimmung hielt, innerlich zerbrochen sein.
Auch der Ritter schien das Interesse an einem weiteren Wortgefecht verloren zu haben; er trat zwei oder drei Schritte zurück und ließ sein Schwert mehrmals spielerisch durch die Luft pfeifen. Andrej erschrak, als er sah, mit welcher Leichtigkeit Malthus die schwere Waffe handhabte.

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