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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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ein paar Schritte zurücktrat, fielen Andrejs Fesseln zerschnitten zu Boden.
Delãny wankte, geriet ins Stolpern, konnte sich aber mit einiger Mühe wieder fangen. Als er nach dem Sarazenenschwert greifen wollte, schüttelte Malthus den Kopf.
»Nicht so hastig, Delãny«, sagte er. »Ihr habt Stunden an diesem Pfahl gestanden. Wartet, bis Euer Blut wieder richtig fließt. Wärmt Eure Muskeln und macht sie geschmeidig. Oder habt Ihr es so eilig mit dem Sterben?«
Andrej blickte den hünenhaften Goldenen ungläubig an, aber Malthus nickte noch einmal zur Bekräftigung seiner Worte. Er meinte es ernst. Andrejs Zweifel verflogen. Wenn sein Gegner ihn hätte hinterrücks erschlagen wollen, hätte er wohl kaum seine Fesseln durchtrennt. Trotzdem ließ er Malthus keine Sekunde aus den Augen, während er sich ein paar Schritte von ihm entfernte.
In seinen Armen und Beinen prickelte es, zuerst sanft, dann heftiger, schließlich geradezu quälend. Malthus hatte recht: Andrej hätte in diesem Moment nicht einmal die Kraft aufgebracht, das Sarazenenschwert zu halten, geschweige denn, mit ihm zu kämpfen.
»Warum tut Ihr das?« Andrej begann damit, abwechselnd seine Handgelenke zu massieren und die Finger zu spreizen und zur Faust zu schließen. Doch zunächst schienen diese Lockerungsübungen ihm nicht zu helfen. Sein Blut strömte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frei durch die Adern, aber dieses Fließen erschien ihm fast noch unerträglicher als die Schmerzen, die er in den letzten Tagen ununterbrochen hatte ertragen müssen.
»Es macht nicht besonders viel Spaß, einen Gegner zu besiegen, der sich nicht wehren kann«, erklärte Malthus.
»Das meine ich nicht. Kerber. Biehler. Was habt Ihr mit diesen … Verrückten zu schaffen? Ihr seid nicht wie sie.«
Der Goldene lachte leise. »Ihr habt recht, Delãny. Sie sind verrückt. Das Töten macht ihnen Spaß.«
»Euch etwa nicht?«
»Nur, wenn es sein muß. Die beiden sind verrückt, aber sie sind auch nützlich. Irgendwann werde ich sie töten. Aber das hat noch Zeit.«
»Nützlich?« wiederholte Andrej. »So wie Vater Domenicus, der unschuldige Menschen abschlachten läßt?«
»Irgendwann wird der Tag der Befreiung kommen«, entgegnete Malthus ernst. »Und es gibt viele von uns, viel mehr, als Ihr ahnt, Delãny.«
»Und Ihr laßt sie Euch von Domenicus und diesen beiden Wahnsinnigen vom Halse schaffen.«
»Jeder wählt seinen eigenen Weg, Delãny«, sagte Malthus. »Auch Ihr hättet das getan, wären wir uns nicht begegnet. Glaubt Ihr, ich würde Euch nicht verstehen? Ich war einmal wie Ihr. Auch ich habe mit dem Schicksal gehadert und geschworen, daß ich nicht so werden will. Ich wollte nicht töten müssen, um leben zu können. Es hat Jahre gedauert, bis ich den ersten von unserer Art getötet habe. Und noch sehr viel länger, bis ich begriff, daß es richtig war. Das Töten ist nun einmal unsere Bestimmung.«
»Ihr tötet, um länger leben zu können?« fragte Andrej. Er verstand noch nicht einmal ansatzweise, was hier vorging und von was Malthus die ganze Zeit über redete. »Ihr behauptet im Ernst, unverwundbar und unverletzlich zu sein?«
»Oh nein.« Der Ritter schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sind sehr wohl verwundbar. Aber wenn man uns nicht auf die richtige Weise zu töten versteht dann kommen wir wieder.«
»Teufelswerk«, murmelte Andrej, während ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken rann.
»Teufelswerk?« wiederholte Malthus, als habe er selber schon öfter über die Bedeutung dieses Wortes nachgedacht. »Wohl kaum. Ist Euch noch nie aufgefallen, wie sehr sich einzelne Menschen unterscheiden? Wir sind nur eine kleine Abweichung von dem, was die Menschheit unter normal versteht. Versteht mich recht: Wir kommen nicht aus der Hölle wieder. Wir werden verletzt, wir bluten wie jeder andere: Aber die Wunden schließen sich viel schneller und gründlicher als bei anderen Menschen - solange wir von einem ganz besonderen Lebenssaft gespeist werden.«
Ein ganz besonderer Lebenssaft - Andrej konnte sich nur zu gut vorstellen, was er damit gemeint hatte. All das, was er sich in seinen kühnsten Alpträumen zusammengeträumt hatte, war wahr - und nicht nur das. Die Wahrheit war tausendmal schlimmer, als er es sich je hatte vorstellen können. Malthus ließ ihn einen Blick hinter den Vorhang der Wirklichkeit werfen, und Andrej sah, was dahinter lauerte: der Wahnsinn, und etwas, gegen das alle Schrecken des Todes verblaßten. Es gab eine zweite Wirklichkeit

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