Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
Sein Gegner war viel stärker als er, und wie gut er mit dem Schwert umzugehen verstand, hatte Andrej ja schon einmal am eigenen Leib erfahren. Zwar hatte er ihn damals fast besiegt, aber das war kaum mehr als Glück gewesen; wahrscheinlich hatte er seinen Sieg nur dem Umstand zu verdanken gehabt, daß Malthus ihn unterschätzt hatte. Ein zweites Mal würde ihm dieser Fehler gewiß nicht unterlaufen.
Andrej dehnte seine Lockerungsübungen nach und nach auf sämtliche Körperteile aus. Schließlich zückte er sein Schwert und führte zwei, drei erste Übungsschläge aus. Seine Muskeln waren noch nicht ganz so geschmeidig, wie er das gewohnt war - und vor allem, wie das gegen diesen Gegner notwendig war; trotzdem bewegte er sich absichtlich nicht so schnell, wie er das selbst in seinem jetzigen Zustand gekonnt hätte. Malthus beobachtete ihn aufmerksam. Andrej würde jeden noch so geringen Vorteil dringend brauchen, um gegen diesen Mann zu bestehen - allerdings glaubte er nicht wirklich, daß er den Mann besiegen konnte, dem auf dem Weg zur Unsterblichkeit jedes Opfer recht zu sein schien.
Denke nie über deine Chancen nach! flüsterte Michail Nadasdys Stimme ihm zu. Ergreife sie! Und wenn du keine hast, dann schaffe dir welche! Die meisten Kämpfe werden im Kopf entschieden!
… Und wenn du unterliegst, wirst du den Kopf selbst verlieren, fügte Andrej in Gedanken hinzu. Er lächelte, senkte das Schwert und stand fast eine Minute lang reglos und mit geschlossenen Augen da.
Als er die Lider wieder hob, waren alle Zweifel und alle Furcht verschwunden. Er war vollkommen ruhig und fühlte sich zugleich von einer großen Kraft erfüllt. Mit äußerster Konzentration absolvierte er drei verschiedene Angriffstechniken, dann senkte er das Schwert, wandte sich langsam zu seinem Gegner um und nickte ihm zu.
»Ich bin bereit«, sagte er.
»Eine bemerkenswerte Technik«, sagte Malthus. »Ich habe sie bisher nur einmal gesehen.«
»Und wo?«
»Bei einem Mann, der aus einem sehr fernen Land kam. Er war ein mächtiger Krieger. Ich habe ihn getötet«, antwortete Malthus. Und in derselben Sekunde griff er an.
Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich unglaublich schnell. Ja, er schien heute noch schneller und noch beweglicher zu kämpfen, als während ihrer ersten Auseinandersetzung im Wald. Und anders als damals versuchte er nicht, Andrej mit seiner ausgefeilten Technik oder geschickten Finten zu überrumpeln, sondern er setzte ausschließlich auf seine Kraft und seinen massigen Körper - gepaart mit seiner unerwarteten Schnelligkeit eine geradezu mörderische Mischung.
Andrej blieb gar keine andere Wahl, als sich mit einem hastigen Satz in Sicherheit zu bringen und mehr schlecht als recht den wuchtigen Schwerthieb zu parieren, mit dem Malthus diese erste Attacke begleitete.
Schon der erste Treffer schlug ihm um ein Haar die Waffe aus der Hand, und er taumelte zurück. Den nächsten Angriff des Goldenen erahnte er mehr, als daß er ihn sah; diesen Schwerthieb konnte er erst im buchstäblich allerletzten Moment abwehren - allerdings um den Preis, daß er endgültig aus dem Gleichgewicht geriet und sich nur durch einen instinktiven Ausfallschritt vor dem Sturz schützen konnte.
Auf diese Blöße hatte Malthus nur gewartet. Er wirbelte mitten in der Bewegung herum, ohne dabei auch nur einen Deut langsamer zu werden. Sein Schwert prallte dicht über dem Handschutz gegen Andrejs Sarazenenschwert und riß dessen Arm in die Höhe; im selben Atemzug schmetterte er ihm die geballte Faust ins Gesicht. Andrej taumelte zurück, spie Blut und war für Bruchteile von Sekunden so gut wie blind. Dennoch gelang es ihm, Malthus’ nächsten Hieb mit letzter Anstrengung noch abzublocken - aber der Fußtritt, den dieser Riese ihm nun versetzte, fegte ihm die Beine weg. Andrej schlug schwer auf dem Boden auf und rollte sich blitzschnell zur Seite; dann spürte er einen brennenden Schmerz, denn Malthus hatte ihm nachgesetzt und ihm mit einem weiteren Hieb eine tiefe Fleischwunde quer über der Brust zugefügt.
Der Ritter lachte, trat einen Schritt zurück und ließ kurz sein Schwert sinken. Er war nicht einmal außer Atem, während Andrej schon Mühe hatte, sich auf die Ellbogen zu stützen und seinen Körper einer Musterung zu unterziehen. Die Wunde in seiner Brust war nicht tief genug, um ihn nachhaltig zu schwächen. Aber Malthus hätte ihm bei dieser letzten Attacke leicht auch die Kehle durchtrennen oder ihn gleich enthaupten
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