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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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dritte Angreifer hatte versucht, sich davonzuschleppen und den Waldrand zu erreichen, aber seine Kräfte hatten ihn auf halber Strecke verlassen. Er lag wimmernd im Gras. Als Andrej und Frederic herankamen, hob er die Arme vors Gesicht und schluchzte vor Angst. Vielleicht auch vor Schmerz. Sein rechtes Knie war zertrümmert. Andrej mußte nur einen einzigen, flüchtigen Blick darauf werfen, um zu wissen, daß es nie wieder heilen würde.
Der Anblick versetzte ihm einen leichten, aber überraschend schmerzhaften Stich. Auch das war etwas, worauf Michail Nadasdy ihn nicht hatte vorbereiten können. Er hatte ihn gelehrt, mit Fußtritten, Ellbogenstößen und Schlägen der bloßen Hand armdicke Holzscheite zu zertrümmern, und er hatte ihm gesagt, daß er mit der gleichen Leichtigkeit Knochen zerbrechen und Schädel einschlagen konnte.
Aber es gab einen Unterschied zwischen Wissen und Erleben, und dieser Unterschied war entsetzlich.
Er bedeutete Frederic mit einer Kopfbewegung, zurückzubleiben, ließ sich neben dem Verwundeten auf die Knie sinken und zwang mit sanfter Gewalt seine Arme herunter.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Ich werde dir nichts tun.«
Seine Worte zeigten keine Wirkung. Die Furcht in den Augen des Mannes explodierte zu nackter Panik, er begann am ganzen Leib zu zittern.
»Nein!« wimmerte er. »Rühr mich nicht an! Du bist der Teufel! Es ist wahr, was sie über dich erzählen.«
»Was erzählen sie denn?« fragte Andrej.
»Daß ihr mit dem Teufel im Bunde seid«, wimmerte der Krieger.
»Wir?«
»Die Delãnys«, antwortete er. »Ihr seid Zauberer. Hexer, die sich der schwarzen Magie verschrieben haben.«
Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie Frederic zusammenzuckte, widerstand aber der Versuchung, sich zu dem Jungen herumzudrehen.
»Habt ihr Barak deshalb gefoltert?« fragte er.
»Ihr seid Hexer«, beharrte der Mann. »Ihr seid mit dem Teufel im Bunde. Niemand kann euch töten.«
»Wenn du das wirklich glaubst, dann war es ziemlich töricht von euch, es überhaupt zu versuchen«, antwortete Andrej. Er zwang sich, das verletzte Bein des Mannes einer zweiten, eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, jedoch ohne zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Der Verletzte würde für den Rest seines Lebens ein Krüppel bleiben, falls er nicht in den nächsten Tagen an Wundbrand starb. Andrej konnte nichts für ihn tun - außer vielleicht seine Schmerzen ein wenig zu lindern. Ohne auf die schwachen Proteste des Mannes zu achten, tastete er nach einem der versteckten Nervenknoten, die Michail Nadasdy ihm gezeigt hatte, und übte für einige Momente einen schwachen Druck darauf aus. Die Schmerzen des Mannes würden nicht völlig verschwinden, aber doch auf ein weitaus erträglicheres Maß herabsinken. Wenigstens für eine Weile.
»Bevor du es sagst«, bemerkte er. »Das war keine Zauberei und auch kein Teufelswerk, sondern nur eine uralte Heilkunst aus einem fernen Land.«
Es war sinnlos. Die Angst auf den Zügen des Mannes erreichte ein Maß, das Andrej nicht mehr nachempfinden konnte. Es war gleich, was er zu ihm sagte oder was nicht, der Krieger war nicht mehr in der Verfassung, irgend etwas anderes zu empfinden als Angst.
»Wie ist dein Name?« fragte er.
»Draskovic«, antwortete der Krieger.
»Draskovic, gut.« Delãny nickte und legte sich seine nächsten Worte sehr sorgfältig zurecht. Es war möglich, daß er den Krieger umbrachte, wenn er die falsche Frage stellte oder Draskovic die falsche Antwort gab.
»Wer hat euch nach Borsã geschickt, Draskovic?« fragte er.
»Vater Domenicus«, antwortete Draskovic. »Laß mich in Ruhe! Geh! Töte mich, wenn du willst, aber ich … ich werde nicht mehr mit dir reden.«
»Ich werde dich nicht töten, Draskovic«, sagte Andrej ruhig. Er haßte sich für seine nächsten Worte, aber als er sie aussprach, klang seine Stimme so kalt und drohend, daß er fast Angst vor sich selbst bekam. Vielleicht war das schwarze Feuer in ihm nicht erloschen, sondern hatte etwas in Brand gesetzt, das nun tief am Grunde seiner Seele wie ein böses Geschwür heranwuchs.
»Ich werde dich nicht töten, Draskovic«, wiederholte er. »Weder jetzt noch später. Wenn du meine Fragen ehrlich beantwortest, wird dir nichts geschehen. Wenn du dich weigerst oder lügst, werde ich deine Seele nehmen.« Draskovic starrte ihn an. Er wollte etwas erwidern, aber seine Stimme verweigerte ihm den Dienst. »Ich bin kein Zauberer, und ich bin auch nicht der Teufel«, fuhr Andrej fort.

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