Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
Eine
aus transsilvanischer Sicht riesige Hafenstadt am Schwarzen Meer, auf die die
Türken begehrlich blickten, konnte man von hier aus doch wichtige Handelswege ins Landesinnere und bis hoch zum Donaudelta und den Karpaten kontrollieren.
Wenn es eine Falle war, dann war sie so gut vorbereitet, daß er sie nicht erkennen konnte. Die Nacht blieb still. Niemand stürzte sich aus der Dunkelheit auf
sie, und auch, als sie sich dem Gebäude selbst näherten, blieb alles ruhig. Es war ein großes, offenbar vor noch nicht allzu langer Zeit errichtetes Gasthaus, an das sich noch mehrere andere, in der Dunkelheit allerdings nur schemenhaft zu erkennende Gebäude anschlössen. Durch die geschlossenen Fensterläden drang unverständliches Stimmengemurmel, und vor der Tür waren vier
Pferde und zwei oder drei schlecht genährte Maulesel angebunden. Andrej unterzog insbesondere die Pferde einer schnellen, aufmerksamen Musterung, deren
Ergebnis ihn jedoch beruhigte. Die Tiere sahen nicht so aus, als gehörten sie
Kriegern.
Er band den Hengst neben den drei Mauleseln an, hob Frederic ohne viel Federlesens aus dem Sattel und überzeugte sich davon, daß sein mit eingetrocknetem Blut besudeltes Hemd vollkommen unter der Decke verborgen war, die sich
der Junge umgeworfen hatte.
»Wenn wir hineingehen, überläßt du mir das Reden«, sagte er eindringlich. Frederic starrte ihn trotzig an und preßte die Lippen aufeinander, aber er widersprach wenigstens nicht, und Andrej drehte sich wieder herum und betrat das
Gasthaus.
Ein Schwall abgestandener Luft schlug ihm entgegen und ein Durcheinander
von Gerüchen und Geräuschen - vor allem aber die behagliche Wärme eines
Feuers, das in einem gewaltigen Kamin an der gegenüberliegenden Wand prasselte. Bedachte man die fortgeschrittene Stunde, dann hielt sich noch eine erstaunliche Anzahl von Gästen in der Herberge auf. Andrej schätzte, daß mindestens ein Dutzend Männer unterschiedlichen Alters an den einfachen Tischen
saßen, sich lautstark unterhielten und tranken. Niemand schien daran Anstoß zu
nehmen, daß Frederic und er noch zu so später Stunde hereinkamen. Die meisten
Gäste sahen zwar kurz von ihrem Getränk auf oder unterbrachen ihre Unterhaltung, aber kaum einer schenkte ihnen mehr als einen flüchtigen Blick. Abgesehen von dem Wirt vielleicht, dessen Interesse aber wohl eher geschäftlicher
Natur war. Nun, sie waren nicht mehr in Borsã, sondern in der Nähe einer großen Stadt, deren Einwohnerzahl in die Tausende ging. Wahrscheinlich verlief
das Leben hier nach anderen Regeln als im Borsã-Tal.
Andrej bugsierte Frederic ins Haus, schloß mit der linken Hand die Tür hinter
sich und deutete gleichzeitig mit einer Kopfbewegung auf den freien Tisch, der
dem Kamin am nächsten war. Mittlerweile nahm kaum noch einer der Gäste von
ihnen Notiz. Aber er konnte spüren, wie ihnen die mißtrauischen Blicke des
Wirtes folgten, während sie zum Tisch gingen und sich daran niederließen. Kaum hatten sie das getan, kam er auch schon hinter der Theke hervor und
steuerte auf sie zu. Er war ein sehr großer, fast kahlköpfiger Mann mit schwieligen Händen und einem Gesicht, das älter aussah, als es wohl tatsächlich war. Er
trug einfache Kleidung und darüber eine fettige Lederschürze.
»So spät noch unterwegs?« sagte er anstelle einer Begrüßung.
Andrej nickte. »Wir sind froh, daß wir Euer Gasthaus gefunden haben. Wir
wollten nach Constãntã, aber der Weg scheint doch weiter zu sein, als wir geglaubt haben«, antwortete er, wobei er die Erschöpfung in seiner Stimme nicht
einmal schauspielern mußte.
»Das geht vielen so«, sagte der Wirt. »Was kann ich für euch tun?« »Ein Bier wäre nicht schlecht«, antwortete Andrej. »Und für meinen Bruder
vielleicht ein Glas heiße Milch.«
»Ich nehme auch ein Bier«, protestierte Frederic.
»Ein Bier und eine Milch also«, sagte der Wirt ungerührt. »Könnt ihr denn
auch bezahlen?«
Das unverhohlene Mißtrauen, das aus dieser Frage sprach, ärgerte Andrej. Aber er verbiß sich die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag, griff statt
dessen in die Tasche und zog einige der kleinen Münzen heraus, die sie Draskovic und dem toten Krieger abgenommen hatten. So vollkommen unberechtigt,
wie es ihm im ersten Moment erschienen war, war das Mißtrauen des Mannes
eigentlich gar nicht. Noch vor ein paar Tagen hätte er die bestellten Getränke
nicht bezahlen können.
Der Mann steckte die Münzen ein und fragte: »Auch etwas zu essen?« »Wenn
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