Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
verdammte Inquisitor wieder dort ist, wo er hingehört. Seit er und seine drei seltsamen Begleiter in der Stadt sind …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, so, als wäre ihm erst jetzt bewußt geworden, mit wem er sich unterhielt - einem vollkommen Fremden nämlich, von dem er nicht wissen konnte, ob er wirklich das war, wonach er aussah, und wohin er sich als nächstes wenden und mit wem er reden würde.
»Verschwinde jetzt«, sagte er. »Ich habe zu tun. Und du solltest dich sputen, wenn du rechtzeitig im >Einäugigen Bären< sein willst.«
Andrej bedankte sich mit einem Kopfnicken und eilte zu Frederic zurück. Er fand den Jungen nicht dort, wo er ihn zurückgelassen hatte. Die Reiter hatten Spuren auf
der Straße hinterlassen: Andrej sah mehrere Männer und Frauen, die schreckensbleich geworden waren und die Hände gegen ihre Arme und Rippen preßten, und genau dort, wo er Frederic erwartete, hockte ein Greis auf dem Boden und hielt mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Knöchel, der offensichtlich gebrochen war.
Andrej s Gesicht verdüsterte sich vor Zorn. Für ihn selbst war ein gebrochener Knöchel schon hinderlich genug, aber dennoch eine Verletzung, die irgendwann wieder verheilen würde. Für den Alten aber konnte dies das Ende bedeuten. Selbst wenn der Knochen wieder zusammenwuchs, ohne daß er zum Krüppel wurde, war es durchaus denkbar, daß er im nächsten Winter verhungerte oder erfror, weil er seiner Arbeit nicht hatte nachgehen können. Was waren das für Menschen, die so rücksichtslos mit dem Leben anderer umgingen?
Andrej beantwortete sich diese Frage selbst: Die gleichen Menschen, die ein Haus mit einem Dutzend Unbeteiligter in Brand setzten, um einen einzelnen Mann und einen Jungen zu töten oder in ihre Gewalt zu bringen.
Andrej sah sich suchend nach Frederic um. Er hatte dem Jungen eingeschärft, sich nicht von der Stelle zu rühren, doch genau das hatte er offensichtlich getan. Gerade als Andrej zornig zu werden drohte, tauchte Frederic aus einer wenige Schritte entfernten Gasse auf. Er war leichenblaß und kam heftig gestikulierend auf ihn zu.
»Andrej!« sprudelte er los. »Ich habe sie gesehen! Sie waren hier, und …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Delãny und warf ihm einen fast beschwörenden Blick zu. »Nicht so laut!«
»Nein, du verstehst nicht!« Frederic senkte die Stimme, sprach aber nicht weniger aufgeregt weiter. »Ich meine nicht die beiden goldenen Reiter! Der Mann bei ihnen! Das war…«
»Vater Domenicus«, fiel ihm Andrej ins Wort. »Der Mann, der Barak und deinen Bruder Toras gefoltert hat.«
Frederic war verwirrt. »Woher weißt du das?«
»Der Mann am Tor hat es mir gesagt«, antwortete Andrej. »Aber ich glaube, ich hätte mir das auch selbst zusammenreimen können.« Er brachte Frederic, der etwas erwidern wollte, mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Er hat mir auch den Weg zum >Einäugigen Bären< erklärt. Es ist ziemlich weit. Wir sollten uns lieber beeilen. Krusha wird nicht erfreut sein, wenn wir zu spät kommen.«
Frederics Reaktion erschreckte ihn. In den Augen des Jungen blitzte es trotzig auf, und für einen ganz kurzen, aber unglaublich intensiven Moment wurde dieser Trotz zu purem Haß, der sich gegen niemand anderen als gegen Andrej richtete - wenn auch wahrscheinlich aus keinem anderen Grund als dem, daß er das erste Ziel war, das sich Frederic bot.
»Ist das alles, was dich interessiert?« zischte er. »Diese beiden dahergelaufenen Diebe? Ich habe dir gesagt, daß ich den Mann gesehen habe, der meinen Vater und die anderen umgebracht hat! Er kann noch nicht weit sein! Wir können ihn einholen!«
Andrej warf einen raschen Blick in die Runde, ehe er antwortete. Frederic hatte laut genug gesprochen, um noch in etlichen Schritten Entfernung verstanden zu werden. Gottlob schien aber niemand seinen Worten besondere Bedeutung beizumessen. Er erwiderte nichts, sondern ergriff Frederic plötzlich hart bei den Schultern, drehte ihn herum und stieß ihn grob vor sich her.
»Ja, das ist alles, was mich interessiert«, zischte er, leise, aber so scharf, daß es einem Schreien gleichkam. »Diese beiden dahergelaufenen Diebe stellen nämlich im Moment die einzige Möglichkeit dar zu erfahren, wo deine Mutter und die anderen gefangengehalten werden! Was zum Teufel willst du? Rache - oder das Leben deiner Familie retten?«
Frederic riß sich los und funkelte ihn an. »Ich wollte, ich hätte ein Schwert!« erwiderte er. »Ich wollte, ich wäre erwachsen und müßte
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