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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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überfüllten Platz überhaupt ein Durchkommen gab. Und sie hatten nicht alle Zeit der Welt. Krushas Vorschlag, getrennt in die Stadt zu gehen und sich erst dort zu treffen, war ihm am Morgen vernünftig erschienen. Jetzt aber fragte er sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war. Wenn sie zu spät zu der Verabredung kamen oder das fragliche Gasthaus gar nicht fanden, waren die Überlebenden aus Borsã praktisch verloren. Krusha hatte mit seinen Informationen gegeizt, ihm aber glaubhaft versichert, daß die Gefangenen noch in dieser Nacht weggebracht werden sollten.
Er drehte sich hilflos einmal im Kreis, bedeutete Frederic mit einer Geste, sich nicht von der Stelle zu rühren, und ging zum Tor zurück. Vorhin, als sie die Stadt betreten hatten, waren sie von dem Posten am Tor kaum eines Blickes gewürdigt worden. Bestimmt machte der Mann sich nicht die Mühe, sich auch nur eines der zahllosen Gesichter einzuprägen, die tagtäglich an ihm vorbeizogen.
Außerdem schien er seine Aufgabe nicht sonderlich ernst zu nehmen. Er hatte sich gelangweilt auf seinen Speer gestützt und fühlte sich ganz offensichtlich gestört, als Delãny auf ihn zukam. In seinem orangerot und weiß gestreiften Waffenrock wirkte er überdies eher lächerlich als respekteinflößend, zumindest in Andrejs Augen.
»Bitte verzeiht die Störung«, begann Andrej.
Der Posten richtete sich ein wenig auf, machte sich aber nicht einmal die Mühe zu antworten, sondern bedachte den Fremden nur mit einem abschätzend-verächtlichen Blick.
»Mein Neffe und ich sind zum ersten Mal in der Stadt«, begann Andrej. »Wir waren hier mit meinen Brüdern verabredet, aber ich fürchte …«
Er sprach bewußt nicht weiter, sondern ließ den Satz mit einem hilflosen Achselzucken und einem dazu passenden Gesichtsausdruck unbeendet ausklingen. Die
Reaktion seines Gegenübers fiel so aus, wie Andrej gehofft hatte: Die Verachtung in den Augen des Uniformierten wurde noch größer, und er antwortete mit einer Art von Harne in der Stimme, die oft mit erstaunlichem Großmut einhergeht.
»Und jetzt siehst du zum ersten Mal in deinem Leben eine Stadt mit einer Mauer drumherum und mehr als zehn Häusern und würdest dir vor Angst am liebsten in die Hosen pinkeln, wie?« fragte er spöttisch.
Andrej zuckte mit den Schultern und setzte ein verlegenes Gesicht auf. »Sie ist… sehr groß«, gestand er. »Ich habe nicht mit so vielen Menschen gerechnet. Und wir haben nur noch eine Stunde Zeit, um das Gasthaus zu finden.«
»So, so.« Der Mann stemmte sich an seinem Speer in die Höhe und warf einen vollkommen überflüssigen, nachdenklichen Blick an Andrej vorbei in die Stadt hinein. Vielleicht suchte er nach dem Neffen, von dem Andrej gesprochen hatte; möglicherweise war dessen Erwähnung ein Fehler gewesen.
»Weißt du wenigstens den Namen des Gasthauses, in dem ihr euch verabredet habt, mein Freund?«
»>Zum Einäugigen Bären<«, antwortete Andrej.
»Eine Spelunke«, meinte der Torwächter. »Selbst für einen Mann wie dich kaum der richtige Ort, wie mir scheint. Hast du Geld?«
»Nicht viel«, antwortete Andrej. »Warum?«
»Oh, keine Angst, ich will nichts davon«, sagte der Wächter. »Ich wollte dir nur raten, gut darauf achtzugeben. Dort, wo du hinwillst, treibt sich eine Menge Gesindel herum. Wenn deine Brüder dort verkehren, solltest du über deine Familie nachdenken.« Er seufzte. »Aber was geht mich das an… ? Es ist leicht zu finden. Ihr müßt den Markt überqueren, und dann folgt ihr der Straße bis zum Schloß. Dort biegt ihr rechts ab, bis ihr zum Hafen kommt. Jeder dort kennt den >Einäugigen Bären<. Aber seht zu, daß ihr bis zum Einbruch der Dämmerung wieder aus dieser Gegend verschwunden seid.«
Andrej war verwirrt. Trotz des unüberhörbaren Spotts registrierte er auch eine Gutmütigkeit, die er von einem Soldaten im Dienste des Herzogs zuallerletzt erwartet hatte. Er wollte sich bedanken, doch in diesem Moment ging eine erstaunliche Veränderung mit dem Posten vonstatten: Er richtete sich kerzengerade auf und wirkte plötzlich kein bißchen gelangweilt mehr, sondern angespannt, fast schon sprungbereit. Seine Augen wurden schmal, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, der zwischen Erschrecken und unterdrücktem Zorn schwankte. Im allerersten Moment dachte Andrej, der Uniformierte hätte erkannt, wer vor ihm stand, aber dann wurde ihm klar, daß er gar nicht ihn anstarrte, sondern einen Punkt irgendwo hinter seinem Rücken. Andrej drehte

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