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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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mich nicht herumkommandieren lassen!«
Andrej riß endgültig der Geduldsfaden. Er packte Frederic erneut bei den Schultern, riß ihn herum und schüttelte ihn so heftig, daß die Zähne des Jungen aufeinanderschlugen.
»Jetzt hör mir mal zu!« sagte er wütend. Er schrie fast. »Wenn du glaubst, es sei so leicht, ein Leben zu nehmen, dann täuschst du dich! Du willst ein Schwert? Bitte! Du kannst meines haben. Meinetwegen geh hin und versuche, diesen Mann umzubringen! Vielleicht gelingt es dir ja sogar! Er wird kaum damit rechnen, von einem Kind angegriffen zu werden! Und dann?«
»Wie … meinst du das?« fragte Frederic irritiert.
»Selbst wenn es dir gelingt«, fuhr Andrej fort, »und selbst wenn du in all der Aufregung und dem Durcheinander entkommen solltest - was dann? Glaubst du, es wäre damit getan, einem Mann ein Schwert ins Herz zu stoßen? Das ist es nicht! Er stirbt nämlich nicht einfach, weißt du? Er wird weiterleben, in dir!« Er hob die Hand und stieß Frederic so hart mit Mittel- und Zeigefinger vor die Stirn, daß es den Jungen schmerzen mußte. »Du wirst sein Gesicht sehen, jedes Mal, wenn du die Augen schließt. Er wird dir im Schlaf erscheinen. Er wird dich in deinen Träumen heimsuchen, und er wird dich fragen, warum du ihm das Leben genommen hast! Für lange, sehr lange Zeit. Vielleicht für den Rest deines Lebens!«
Frederic starrte ihn an, und Andrej las etwas in seinen Augen, das ihn noch mehr schockierte als der aus Schmerz geborene Haß, der kurz zuvor in ihnen gewesen war. Frederic verstand nicht, was er ihm zu sagen versuchte. Schlimmer noch: Es war ihm vollkommen gleichgültig. Möglicherweise tat Andrej ihm unrecht. Vielleicht war Frederic einfach zu jung, um zu begreifen, welch himmelweiter Unterschied darin lag, einen Mann in Selbstverteidigung zu töten oder ihn kaltblütig umzubringen. Dennoch wußte Andrej einen Augenblick lang selbst nicht, ob er nun Angst um oder vor Frederic haben sollte. Vielleicht kamen alle Worte, die er sagen konnte, längst zu spät; vielleicht hatte das Grauenvolle, das Frederic mit anzusehen gezwungen worden war, seine Seele schon zerstört; vielleicht konnte der Junge gar nicht mehr anders, als ebenso hart und gnadenlos zu fühlen und zu handeln wie seine Peiniger.
Und vielleicht war das allein schon Grund genug, Vater Domenicus und die zwei noch verbliebenen goldenen Ritter zu töten, die mit ihm im Borsã-Tal gewesen waren - und jeden weiteren goldenen Ritter, sofern ihm noch mehr von ihrer Sorte über den Weg liefen.
»Das ist eine wirklich eigenartige Methode, einem Kind Respekt vor dem Leben beizubringen«, bemerkte eine Stimme hinter ihm.
Andrej richtete sich zornig auf und fuhr herum. »Was mischt Ihr Euch…«
Er sprach nicht weiter. Er wußte nicht, was oder wen genau er erwartet hatte aber hinter ihm stand die junge, dunkelhaarige Frau, mit der er vorhin im Menschengewirr bereits zusammengestoßen war. Inmitten der dichtgedrängten Menge hätte sie eigentlich wie verloren wirken müssen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Sie war kaum größer als Frederic und trug ein dunkelgrünes Samtkleid, das ihre schlanke Statur betonte, aber sie wirkte nicht verwundbar. Es war schwer in Worte zu fassen … irgend etwas Kraftvolles ging von ihr aus. Möglicherweise lag es an ihren Augen, die ihn fröhlich und ohne jegliche Scheu
- wie die eines Kindes - anblickten und die dennoch viel zu alt und viel zu wissend waren für das geradezu kindliche Gesicht, in das sie eingebettet waren. Oder war es die Selbstsicherheit, mit der sie ihr dunkles Haar trug, das in offenen Locken bis weit über die Schultern hinabfiel? Oder gar der zierliche, juwelenbesetzte Dolch an ihrem Gürtel?
Andrej wurde sich des Umstandes bewußt, daß er die junge Frau auf eine Art und Weise anstarrte, die leicht als unziemlich, zumindest aber als unhöflich angesehen werden konnte. Er flüchtete sich in ein verlegenes Lächeln. »Verzeiht«, sagte er. »Ich wollte nicht…«
»Ich sollte um Verzeihung bitten«, unterbrach ihn die Dunkelhaarige. »Ich habe eigentlich kein Recht, mich einzumischen … aber Ihr versteht nicht viel von Kindern, oder? Ist das Euer Sohn?«
»Nein«, antwortete Andrej verwirrt.
»Nein, es ist nicht Euer Sohn, oder nein, Ihr versteht nichts von Kindern?« fragte die Fremde lachend.
Andrejs Verwirrung wuchs mit jedem Augenblick. Es waren nicht so sehr ihre Worte, es war vielmehr die bloße Anwesenheit der jungen Frau, die ihn zunehmend verlegener

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